Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
Vom Netzwerk:
Überall herrschte Betriebsamkeit.
    Dies war das erste Mal, dass ich an einem Tatort in den Vereinigten Staaten war. Größtenteils war es genau so, wie ich es
     von zu Hause gewohnt war, die feinen Unterschiede waren allerdings spürbar, was mir die Szenerie unwirklich erscheinen ließ.
     Neben der Hütte stand eine Gruppe der Spurensicherung des TBI, Beamte in weißen Overalls mit erhitzten und verschwitzten Gesichtern,
     die durstig aus Wasserflaschen tranken. Gardner führte uns zu einer jungen Frau in einem eleganten Kostüm, die mit einem übergewichtigen
     Mann sprach, dessen kahler Kopf wie ein poliertes Ei glänzte. Er war völlig unbehaart und hatte nicht einmal Augenbrauen oder
     Wimpern, wodurch er einerseits wie ein Baby und anderseits wie eine Schildkröte aussah.
    |29| Als wir näher kamen, drehte er sich zu uns um und öffnete beim Anblick von Tom seine schmalen Lippen zu einem Lächeln. Aber
     es wirkte humorlos.
    «Hab mich schon gefragt, wann Sie auftauchen, Lieberman.»
    «Ich bin gleich nach dem Anruf losgefahren, Donald», sagte Tom freundlich.
    «Es überrascht mich, dass ein Anruf nötig war. Die Leiche müsste man bis nach Knoxville riechen.»
    Er kicherte unbekümmert, auch wenn den Witz sonst niemand lustig fand. Ich vermutete, dass das Hicks war, der Pathologe, den
     Gardner erwähnt hatte. Die junge Frau, mit der er gesprochen hatte, war schlank, dabei athletisch wie eine Turnerin. Sie hatte
     eine beinahe militärische Haltung, die durch das marineblaue Kostüm und das kurzgeschnittene, dunkle Haar noch betont wurde.
     Sie trug kein Make-up und benötigte auch keines. Allein ihr Mund passte nicht zu ihrer klinischen Erscheinung: Die vollen
     und geschwungenen Lippen deuteten eine Sinnlichkeit an, die der Rest von ihr zu verbergen bemüht war.
    Sie schaute mich kurz mit ihren grauen Augen an, ein Blick, der ausdruckslos und kühl taxierend zugleich war. Das Weiße in
     den Augen leuchtete im Kontrast zu ihrer leicht gebräunten Haut, wodurch sie einen unglaublich gesunden und frischen Eindruck
     machte.
    Gardner stellte sie vor. «Tom, das ist Diane Jacobsen. Sie ist gerade erst zum Ermittlungsteam gestoßen. Das hier ist ihr
     erster Mordfall, und ich habe mit dir und dem Institut ordentlich angegeben, also enttäusche mich nicht.»
    Offenbar ungerührt von Gardners Versuch, humorvoll zu sein, streckte sie ihre Hand aus. Auch Toms warmes Lächeln erwiderte
     sie mit einem undurchdringlichen Blick. Ich war |30| mir nicht sicher, ob sie von Natur aus ein zurückhaltendes Wesen hatte oder ob sie sich nur sehr bemühte, professionell zu
     wirken.
    Hicks’ Mund zuckte verärgert, als er Tom beobachtete. Dann bemerkte er, dass ich ihn anschaute, und deutete gereizt mit dem
     Kinn in meine Richtung.
    «Wer ist das?»
    Er sprach, als wäre ich nicht da. «Ich bin David Hunter», sagte ich, obwohl die Frage nicht an mich gerichtet war. Irgendwie
     war mir klar, dass es sinnlos gewesen wäre, ihm die Hand zu geben.
    «David arbeitet zurzeit mit uns im Institut zusammen. Er ist freundlicherweise mitgekommen, um mir zu helfen», sagte Tom.
     «Arbeitet mit uns zusammen» war ein bisschen übertrieben, aber ich wollte nicht spitzfindig werden.
    «Ein Engländer?», bemerkte Hicks, der anscheinend meinen Akzent erkannt hatte. Ich spürte, wie mein Gesicht glühte, als mich
     erneut der kühle Blick der jungen Frau traf. «Jetzt lassen Sie schon Touristen an den Tatort, Gardner?»
    Ich hatte gewusst, dass meine Anwesenheit eine gewisse Unruhe verursachen würde, die auch ein Fremder bei einer britischen
     Ermittlung ausgelöst hätte. Dennoch ärgerte mich seine Reaktion. Doch da ich Toms Gast war, verkniff ich mir eine Entgegnung.
     Gardner selbst sah alles andere als glücklich aus, als sich Tom einschaltete.
    «Dr.   Hunter ist auf meine Einladung hier. Er ist einer der besten forensischen Anthropologen Englands.»
    Hicks schnaubte ungläubig. «Ach, und Sie meinen, wir haben hier nicht genug davon, oder wie?»
    «Ich schätze seine Fachkenntnis», entgegnete Tom ruhig. «So, wenn wir das geklärt hätten, würde ich jetzt gern anfangen.»
    |31| Hicks trat übertrieben höflich zur Seite. «Nur zu. Glauben Sie mir, diese Sache überlasse ich Ihnen gerne.»
    Er marschierte davon. Tom und ich ließen die beiden TB I-Beamten vor der Hütte allein und gingen zu einem Klapptisch, auf dem Kartons mit Overalls, Handschuhen, Überschuhen und Masken standen.
     Ich wartete, bis wir außer Hörweite

Weitere Kostenlose Bücher