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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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aber man glaubt an die Studien. Klammert sich an die Prozentangaben wie an ein Gebet. Und die Zahlen und dazu die Träume machen aus einem einen lebenden Toten. Einen Zombie. All das kannte ich nur zu gut.
    Noch immer konnte ich nicht anders an meine Mutter denken als an jemanden, der Hochzeitstorten buk und die Stufen der Treppe zu dem verschnörkelten Gipfel, auf dem das Hochzeitspaar aus Zucker lächelte, mit süßen Guss überzog. Ich sah sie stets als die blutende Verlängerung des Telefons. Ständig hing sie am Apparat, in der Erwartung, dass mein Vater anrufen und sagen würde, er sei nicht gestorben, er habe uns nicht verlassen, habe nicht das Gedächtnis verloren. Er sei am Leben. Werde zurückkommen. Fast zwanzig Jahre danach saß meine Mutter noch immer mehr tot als lebendig mit dem Telefon auf dem Schoß da und wartete.
    Die Toten müssen wirklich und wahrhaftig sterben. Müssen in einen Sarg gelegt und beerdigt oder eingeäschert werden.Man muss dabei sein, bis die letzte Schaufel Erde über ihnen ausgeleert wird.
    Was zum Teufel hatte ich dort verloren? Die Ideen, die einem bei Nacht kommen, sind immer miserabel, allesamt, egal ob sie einem gut oder schlecht erscheinen. Sind falscher Alarm. Unlautere Werbung. Brauchen einen Warnhinweis: Probieren Sie das nicht im Wachzustand aus. Eine Karte vom Unfallort! Was scherte es mich, ob sie litten? Ich kannte die Leute nicht mal.
    Nachdem der Wachmann mit den Riesenhunden im Schlepptau aus dem Garten verschwunden war, ging ich zum Tor und beobachtete den jungen Mann am Swimmingpool. Er schien keinerlei Eile zu haben. Die Tragödie dort drinnen hatte nichts mit seinen vertrockneten Blättern zu tun, und auch nicht mit dem Chlor, das er in den Pool schüttete. Und dann war da noch eine endlose Rasenfläche zu mähen, mit Laubengängen und Büschen, wie man sie in Corumbá für gewöhnlich nicht sah.
    Wenn ich helfen wollte, wäre es besser, ich riefe bei der Polizei an. Anonym. Oder bei der Familie selbst. Zumindest wäre ich dann mit dem Toten, der mir den Haufen Koks geschenkt hatte, quitt. Obwohl er mir eigentlich nichts geschenkt hatte. Gefunden ist nicht gestohlen, besagte schon das Sprichwort. Ich schuldete also niemandem etwas. Es gab keinen Grund, mich mit diesen Leuten einzulassen.
    Ich zündete mir eine Zigarette an und überlegte, ob wohl irgendwann jemand ganz nahe bei unserem Haus gewesen war, um uns zu erzählen, wo sich die Leiche meines Vaters befand. Auf einem verlassenen Grundstück, hinter einer Zementfabrik. Auf dem Grund des Flusses. Mit zwei Kugeln in der Stirn. Vergraben in einem Garten am Stadtrand.
    Sind Sie der Chauffeur, fragte der Wachmann, der plötzlich dastand, sodass ich unmöglich verschwinden konnte.
    Ich hätte sagen können, ich hätte mir nur den Garten angeschaut. Wunderschön, der Rasen. Meine eigenen Rosen sind verdorrt. Die Margeriten verdurstet. In dieser Sonne gedeiht nichts. Es wäre überhaupt nicht schwer gewesen, ein Gespräch anzufangen oder wegzufahren, aber vor Schreck bejahte ich und ließ mich in die Villa hineinführen. Unterwegs fasste ich Mut. Das ist der Grund, weshalb ich hergekommen bin, dachte ich. Ich werde hineingehen und alles erzählen. Ich werde ihre dunkle Hoffnung zunichte machen. Geh rein, und keine halben Sachen, sagte ich mir. Geh und gib ihnen den Gnadenschuss, Over.
    Möchten Sie mitessen? Dalva, die Köchin, eine untersetzte Frau mit stämmigen Beinen, aß, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, Braten und Kohl. Wischte mit Brotstückchen den Teller sauber. Mit vollem Mund erzählte sie mir die Geschichte des Jungen von vorne bis hinten. Er hatte das Wochenende auf der Fazenda eines Freundes verbracht. Am Sonntag nach dem Mittagessen hatte er angerufen und Bescheid gegeben, dass er in einer Stunde kommen würde. Er liebte das Fliegen, der Junge. War ständig im Buschwald unterwegs. Um Drogen zu kaufen, dachte ich. Bei den Nachbarn in Bolivien.
    Eine halbe Stunde später wurde ich in ein Büro geführt, in dem lauter Fotos von der Familie hingen. Und von Rindern, ausgestellt auf der Messe. Prämiert. Ich saß da, alleine. An der Wand Vater und Sohn, Arm in Arm. Die Stiefel der beiden waren identisch, auffällig, bemerkte ich. Erbstiefel. Die Uhr, die ich versetzt hatte, befand sich am Handgelenk des Jungen.
    Plötzlich ging das Geschrei los. Es war eine Frauenstimme,mich interessiert nicht, was sie tun werden, sagte sie, du bist der Vater, du, du musst etwas tun, ich will meinen Sohn zurück,

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