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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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die Flucht ergreifen.

    »Billy, du musst versuchen, dich an etwas zu erinnern. Das ist sehr wichtig für mich.«
    Er wandte den Blick nicht vom Fenster, als hätte er Angst, dem Feind den Rücken zu kehren.
    »In der Nacht, als Meggie geboren wurde, kam jemand mit einem Einspänner zum Krankenhaus, um sie zu holen. Schwester Poole sagte, es sei jemand vom Säuglingsheim, aber sie hat gelogen. Ich glaube, sie hat Meggies Vater benachrichtigt. Meggies wirklichen Vater.«
    Er beachtete sie immer noch nicht.
    »Billy, ich habe deinen Hund in dieser Nacht beim Krankenhaus gesehen, deshalb weiß ich, dass du auch da warst. Du musst den Einspänner im Hof gesehen haben.« Sie packte seinen Arm. »Wer ist da gekommen, um das Baby zu holen?«
    Endlich schaute er sie an, und im rötlichen Licht, das durch das Fenster fiel, sah sie sein verängstigtes Gesicht. »Ich weiß es nicht. Schwester Poole hat den Zettel geschrieben.«
    »Welchen Zettel?«
    »Den ich ihm von ihr geben sollte.«
    »Sie hat dir aufgetragen, eine Nachricht zu überbringen?«
    »Sie hat gesagt, ich würde einen halben Dollar kriegen, wenn ich mich sputen würde.«
    Sie starrte den Jungen an – einen Jungen, der nicht lesen konnte. Gab es einen besseren Kurier als den einfältigen Billy, der für ein paar Münzen und einen anerkennenden Klaps auf den Rücken bereitwillig jeden Botengang übernahm?
    »Wohin hat sie dich mit dem Zettel geschickt?«, fragte Rose.
    Sein Blick ging wieder zu dem Flammenmeer. »Es wächst. Es kommt hierher.«
    »Billy.« Sie schüttelte ihn energisch. »Zeig mir, wohin du den Zettel gebracht hast.«
    Er nickte und trat vom Fenster zurück. »Das ist die Richtung vom Feuer weg. Da werden wir sicherer sein.«
    Er stieg vor ihr die Stufen hinunter und führte sie aus dem
Stall hinaus. Der Hund folgte ihnen schwanzwedelnd, als sie den Osthang des Beacon Hill hinaufstiegen. Immer wieder blieb Billy stehen, um nach Osten zu spähen und zu sehen, ob die Flammen ihnen folgten.
    »Bist du sicher, dass du dich noch an das Haus erinnerst?«, fragte sie.
    »Klar erinnere ich mich dran. Schwester Poole hat gesagt, es wäre ein halber Dollar für mich drin, aber das hat nicht gestimmt. Ich bin den ganzen Weg gelaufen, und dann war der Herr nicht zu Hause. Aber ich wollte meinen halben Dollar, also hab ich dem Hausmädchen den Zettel gegeben. Und sie hat mir die Tür vor der Nase zugemacht, einfach so. Die dumme Kuh! Meinen halben Dollar hab ich nie gesehen. Ich bin zurück zu Schwester Poole, und sie hat mir auch keinen halben Dollar gegeben.«
    »Wohin gehen wir denn?«
    »Hier lang. Das wissen Sie doch.«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Doch, Sie wissen es.«
    Sie kamen den Hügel herunter und stießen auf die Beacon Street. Wieder ging sein Blick nach Osten. Der Himmel war schmutzig orange gefärbt, Rauchwolken wehten auf sie zu und trugen den Geruch der Katastrophe zu ihnen. »Schnell«, sagte er. »Das Feuer kann nicht über den Fluss springen.« Er begann die Beacon Street hinaufzutraben, immer weiter in Richtung Mill Dam.
    »Billy, zeig mir, wo du den Zettel abgeliefert hast. Bring mich direkt vor die Haustür!«
    »Hier ist es.« Er stieß ein Tor auf und trat in einen Vorgarten. Der Hund lief ihm hinterher.
    Sie blieb stehen und starrte betroffen Dr. Grenvilles Haus an.
    »Ich hab ihn an die Hintertür gebracht«, sagte Billy. Er bog um die Hausecke und verschwand im Schatten. »Hier hab ich ihn abgegeben, Miss Rose!«
    Sie blieb wie angewurzelt stehen. Das war also das Geheimnis,
das Aurnia in jener Nacht im Kreißsaal verraten hat.
    Sie hörte den Hund knurren.
    »Billy?«, rief sie. Sie folgte ihm ums Haus herum. Hier war es so finster, dass sie ihn nirgends sehen konnte. Einen Moment lang zögerte sie, und ihr Herz klopfte laut, während sie angestrengt in die Dunkelheit spähte. Sie ging ein paar Schritte und hielt dann inne, als der Hund knurrend und mit gesträubtem Nackenhaar auf sie zugekrochen kam.
    Was hatte er nur? Warum hatte er Angst vor ihr?
    Sie verharrte reglos, und ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Der Hund knurrte nicht sie an, sondern etwas, das hinter ihr war.
    »Billy?«, sagte sie und blickte sich um.
     
    »Ich will nicht, dass noch mehr Blut fließt. Und sehen Sie zu, dass Sie meine Kutsche sauber halten. Es ist ohnehin schon alles verdreckt, und den Gehsteig hier werde ich auch wischen müssen, bevor es hell wird.«
    »Ich mache das nicht allein. Wenn Sie wollen, dass es erledigt wird, Ma’am,

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