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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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bloß die Tochter, die möglichst schnell verheiratet werden musste. Du bist mein Lebenswerk, mein Liebling. Ich lasse nicht zu, dass deine Zukunft zerstört wird.« Eliza stieg wieder in die Kutsche. »Und jetzt geh wieder ins Bett.«
    »Und das Kind? Du würdest ein Baby umbringen?«
    »Nur das Mädchen wusste, wo sie versteckt ist. Das Geheimnis ist mit ihr gestorben.« Eliza schloss den Wagenschlag. »Und nun lass mich diese Sache zu Ende bringen. Fahren wir, Mr. Burke.«
    »Wohin?«, fragte Burke.
    »Weg von dem Feuer. Da werden zu viele Menschen sein. Fahren Sie nach Westen. Auf der Prison Point Bridge werden wir am ungestörtesten sein.«
    »Mutter«, sagte Charles mit einer Stimme, die vor Verzweiflung zu brechen drohte. »Wenn du das tust, dann nicht in meinem Namen. Nichts von alldem tust du in meinem Namen!«
    »Aber du wirst es akzeptieren. Und eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein.«
    Die Kutsche rollte los. Rose, eingeklemmt unter Billys Leiche, lag vollkommen reglos; sie wusste, wenn sie auch nur einen Finger rührte und Eliza merkte, dass sie noch lebte, dann würde es nur einen Schlag auf den Schädel brauchen, um der Sache ein Ende zu machen. Sollten sie denken, sie wäre tot. Das war vielleicht ihre einzige Hoffnung auf Rettung.
    Durch das Poltern der Wagenräder hindurch vernahm sie die Stimmen von Passanten, das Rumpeln eines anderen Wagens, der vorüberraste. Das Feuer lockte die Massen nach Osten, in Richtung der brennenden Hafenanlagen. Niemand würde diese einzelne Kutsche beachten, die westwärts fuhr. Sie hörte ein hartnäckiges Bellen – Billys Hund, der hinter seinem toten Herrn herlief.
    Eliza hatte ihm gesagt, er solle nach Westen fahren. Zum Fluss.

    Rose erinnerte sich daran, wie sie einmal zugesehen hatte, als eine Leiche aus dem Hafenbecken gefischt wurde. Es war Sommer gewesen, und als der Körper aus dem Wasser aufgetaucht war, hatte ein Fischer ihn herausgezogen und auf den Kai gebracht. Rose hatte sich der Menge angeschlossen, die zusammengelaufen war, um die Leiche zu begaffen, und was sie an jenem Tag zu sehen bekommen hatte, war kaum noch als menschliches Wesen zu erkennen gewesen. Fische und Krebse hatten das Fleisch angefressen und die Augen in leere Höhlen verwandelt, der Bauch war aufgebläht gewesen, die Haut straff gespannt wie eine Trommel.
    Das passiert mit dem Körper eines Ertrunkenen.
    Mit jedem Rumpeln der Kutschräder rückte die Brücke näher, und mit ihr der Moment des letzten Sturzes. Jetzt hörte sie die Hufe des Pferdes über Holz trappeln, und sie wusste, dass sie gerade die viel befahrene Canal Bridge überquerten und Richtung Lechmore Point fuhren. Das Ziel der Fahrt war die weit weniger frequentierte Prison Point Bridge. Dort könnten die beiden Körper in den Fluss gerollt werden, ohne dass es Zeugen gäbe. Die Panik ließ Roses Herz schlagen wie ein wildes Tier, das aus seinem Käfig auszubrechen suchte. Schon hatte sie das Gefühl zu ertrinken, verzweifelt nach Luft zu ringen.
    Rose konnte nicht schwimmen.

34
    »Aurnia Connolly«, sagte Wendell, »arbeitete als Stubenmädchen im Haushalt der Wellivers in Providence. Nach nur drei Monaten gab sie ihre Stellung dort von einem Tag auf den anderen auf. Das war im Mai.«
    »Im Mai?«, wiederholte Norris. Ihm dämmerte, was das bedeutete.
    »Zu der Zeit muss sie sich schon über ihren Zustand im Klaren gewesen sein. Bald darauf heiratete sie einen Schneider, mit dem sie bereits bekannt war. Mr. Eben Tate.«
    Norris starrte angespannt auf die dunkle Straße, die vor ihnen lag. Er hielt die Zügel von Wendells zweisitzigem Einspänner, und schon seit zwei Stunden trieben sie ihr Pferd gnadenlos an. Jetzt näherten sie sich bereits dem Dorf Cambridge, und nur noch eine Brücke trennte sie von Boston.
    »Kitty und Gwen erzählten mir, ihr Hausmädchen habe feuerrotes Haar gehabt«, sagte Wendell. »Sie war neunzehn Jahre alt und soll ausnehmend hübsch gewesen sein.«
    »Hübsch genug, um einem hoch angesehenen Gast des Hauses aufzufallen?«
    »Dr. Grenville hatte die Wellivers im März besucht. Das haben die Schwestern mir erzählt. Er blieb zwei Wochen, und den beiden fiel auf, dass er in dieser Zeit häufig noch spätabends im Salon saß und las, nachdem der Rest des Haushalts sich bereits zur Ruhe begeben hatte.«
    Im März. Das war der Monat, in dem Aurnias Kind gezeugt worden sein musste.
    Der dahinrasende Einspänner rumpelte plötzlich durch ein Schlagloch, und die beiden jungen Männer

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