Leichenraub
schwierig es ist, dieser Tage in Providence gutes Personal zu finden. Aurnia war nicht gerade eine Perle, aber wenigstens hat sie es verstanden, unsere Garderobe in Ordnung zu halten.«
Wendell war gerade im Begriff, den Salon zu verlassen, als er plötzlich innehielt und sich zu Gwen umdrehte, die munter weiterschwatzte.
»Einen ganzen Monat hat es gedauert, bis wir einen angemessenen Ersatz für sie gefunden hatten. Da war es schon Juni, und wir mussten unsere Sachen packen, um in unser Sommerhaus in Weston zu fahren.«
»Ihr Name war Aurnia?«, fragte Wendell.
Gwen blickte sich um, als fragte sie sich, wer sie da angesprochen haben könnte.
»Ihr Stubenmädchen«, sagte er. »Erzählen Sie mir von ihr.«
Gwen erwiderte kühl seinen Blick. »Warum um alles in der Welt sollte Sie das interessieren, Mr. Holmes?«
»War Sie jung? Hübsch?«
»Sie war ungefähr in unserem Alter, nicht wahr, Kitty? Und hübsch – nun ja, das hängt davon ab, welche Maßstäbe man anlegt.«
»Und ihr Haar – welche Farbe hatte es?«
»Warum ist das denn...«
» Welche Farbe? «
Gwen zuckte mit den Achseln. »Rot. Ziemlich auffallend, muss man sagen, aber leider neigen diese feuerroten Mädchen alle so zu Sommersprossen.«
»Wissen Sie, wohin sie gegangen ist? Wo ist sie jetzt?«
»Wie sollen wir das wissen? Das törichte Mädchen hat uns ja kein Wort gesagt.«
»Ich glaube, Mutter könnte es wissen«, warf Kitty ein. »Nur will sie es uns nicht sagen, weil es kein Thema ist, über das man in feiner Gesellschaft spricht.«
Gwen sah ihre Schwester vorwurfsvoll an. »Warum hast du mir das noch nicht erzählt? Ich erzähle dir doch alles !«
»Wendell, du machst dir ja ungewöhnlich viele Gedanken über eine einfache Hausangestellte«, meinte Edward.
Wendell kehrte zu seinem Stuhl zurück, setzte sich hin und sah die Welliver-Schwestern an, die sichtlich perplex waren. »Ich will, dass Sie mir alles über dieses Mädchen erzählen, woran Sie sich noch erinnern, angefangen mit ihrem vollen Namen. Hieß sie Aurnia Connolly?«
Kitty und Gwen wechselten verdatterte Blicke.
»Aber Mr. Holmes«, sagte Kitty. »Wie haben Sie das bloß erraten?«
»Da ist ein Herr, der Sie zu sprechen wünscht«, sagte Mrs. Furbush.
Rose sah von dem Nachthemd auf, das sie gerade ausbesserte. Zu ihren Füßen stand ein ganzer Korb voller Kleidungsstücke, mit denen sie sich den Tag über abgeplagt hatte: Mrs. Lackaways Rock mit dem ausgeleierten Saum, Dr. Grenvilles Hose mit der ausgefransten Tasche und all die Hemden, Blusen und Hosen, an denen Knöpfe anzunähen und Nähte zu verstärken gewesen waren. Seit sie an diesem Morgen in das Haus zurückgekehrt war, versuchte sie ihren Kummer zu betäuben, indem sie wie eine Besessene nähte und flickte – die einzige Fertigkeit, mit der sie diesen Leuten ihre Güte vergelten konnte. Den ganzen Nachmittag hatte sie hier in der Küchenecke gesessen, schweigend über Nadel und Faden gebeugt, und so deutlich hatte ihre Miene ihren Gram verraten, dass die anderen Hausangestellten ihr respektvoll aus dem Weg gegangen waren. Niemand hatte sie gestört, niemand hatte sie auch nur angesprochen. Bis jetzt.
»Der Herr wartet an der Hintertür«, sagte Mrs. Furbush.
Rose legte das Nachthemd in den Korb und stand auf. Als sie durch die Küche ging, merkte sie, wie die Haushälterin sie neugierig beäugte, und als sie zur Tür kam, verstand sie, wieso.
Wendell Holmes stand am Dienstboteneingang – ein ungewöhnlicher Ort für einen Gentleman, der seinen Besuch anmelden wollte.
»Mr. Holmes«, sagte Rose. »Warum kommen Sie an den Hintereingang?«
»Ich muss mit Ihnen sprechen.«
»Kommen Sie doch herein. Dr. Grenville ist zu Hause.«
»Es ist eine vertrauliche Angelegenheit, nur für Ihre Ohren bestimmt. Können wir uns hier draußen unterhalten?«
Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass die Haushälterin sie beobachtete. Wortlos trat sie vor die Tür und zog sie hinter sich zu. Sie und Wendell bogen um die Hausecke und blieben unter den Bäumen stehen, die im kalten Licht der untergehenden Sonne dürre Schattenfinger auf die Erde malten.
»Wissen Sie, wo Norris ist?«, fragte er. Als sie zögerte, setzte er hinzu: »Es ist dringend, Rose. Wenn Sie es wissen, müssen Sie es mir sagen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe es versprochen.«
»Wem haben Sie es versprochen?«
»Ich darf mein Wort nicht brechen. Auch nicht Ihnen gegenüber.«
»Dann wissen Sie also, wo er
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