Leichenraub
verletzte Eitelkeit, und jetzt bereitete es ihr Vergnügen, noch tiefer in dieser Wunde zu bohren.
»Ja, vielleicht werde ich am Hungertuch nagen«, fuhr sie fort. »Aber wenigstens kümmere ich mich um meine Familie. Ich sorge dafür, dass meine Schwester ein anständiges Begräbnis bekommt. Ich werde ihr Kind großziehen. Was glaubst du, wie die Leute über dich reden werden, wenn sie hören, dass du deine eigene Tochter ihrem Schicksal überlassen hast? Dass du keinen Penny für die Beerdigung deiner eigenen Frau übrig hattest?«
Er lief hochrot an und schielte nach den beiden Totengräbern, die mit ihrer Arbeit fertig waren und nun dastanden und gebannt lauschten. Mit zusammengekniffenen Lippen griff er in die Tasche und holte eine Handvoll Münzen hervor. »Da!«, fauchte er und hielt den Totengräbern das Geld hin. »Nehmt!«
Der ältere Mann schielte mit sichtlichem Unbehagen zu Rose. »Die Lady hier hat uns schon bezahlt, Sir.«
»Zum Henker, nun nehmt schon das verfluchte Geld!« Eben packte die schmutzverkrustete Hand des Mannes und drückte die Münzen hinein. Dann sah er Rose an. »Betrachte meine Verpflichtung als erfüllt. Und nun zu dir: Du hast noch etwas, was mir gehört.«
»Dir ist Meggie doch völlig gleichgültig. Warum solltest du sie haben wollen?«
»Es ist nicht das Balg, das ich will. Sondern die anderen Sachen. Aurnias Sachen. Ich bin ihr Mann, also steht mir ihr ganzer Besitz rechtmäßig zu.«
»Es gibt nichts.«
»Im Krankenhaus hat man mir gesagt, sie hätten dir ihre Habseligkeiten gestern Abend ausgehändigt.«
»Ist das alles, was du willst?« Sie löste das kleine Bündel, das sie sich um den Leib geschlungen hatte, und gab es ihm. »Dann gehört es jetzt dir.«
Er öffnete das Bündel, worauf das schmutzige Nachthemd und das Haarband auf die Erde fielen. »Wo ist der Rest?«
»Ihr Ring ist da.«
»Dieses Stück Blech?« Er hielt Aurnias Glücksbringer mit den Steinen aus gefärbtem Glas hoch. Mit einem verächtlichen Schnauben warf er ihn Rose vor die Füße. »Wertlos. Jedes billige Freudenmädchen in Boston trägt genau so einen am Finger.«
»Sie hat ihren Ehering zu Hause gelassen. Das weißt du.«
»Ich rede von ihrer Halskette. Mit dem goldenen Medaillon. Sie hat mir nie verraten, wie sie dazu gekommen ist, und die ganzen Monate hat sie sich immer geweigert, es zu verkaufen, obwohl ich das Geld für die Werkstatt gut hätte gebrauchen können. Für alles, was ich mir habe gefallen lassen, verdiene ich wenigstens das als Ausgleich.«
»Du verdienst auch nicht das kleinste Haar von ihrem Kopf.«
»Wo ist es?«
»Ich habe es versetzt. Was glaubst du denn, wovon ich ihre Beerdigung bezahlt habe?«
»Es war doch weit mehr wert als das hier«, entgegnete er und deutete auf das Grab.
»Es ist weg, Eben. Ich habe für dieses Grab bezahlt, und du bist hier nicht erwünscht. Du hast meiner Schwester keinen Frieden gelassen, als sie noch gelebt hat. Das Mindeste, was du tun kannst, ist, dass du sie jetzt in Frieden ruhen lässt.«
Sein Blick streifte den alten Totengräber, der ihn grimmig anstarrte. O ja, wenn niemand hinsah, hatte Eben keine Skrupel, eine Frau zu schlagen, aber jetzt musste er sich Mühe geben, seine Fäuste gesenkt und seine lästerliche Zunge im Zaum zu halten. So sagte er nur: »Du wirst noch von mir hören, Rose.« Dann machte er kehrt und stapfte davon.
»Miss? Miss?«
Rose wandte sich zu dem alten Totengräber um und fing seinen mitfühlenden Blick auf. »Sie haben uns schon bezahlt.
Ich denke, Sie können das gut gebrauchen. Damit müssten Sie sich und das Kind eine Zeit lang ernähren können.«
Sie starrte die Münzen an, die er ihr in die Hand gedrückt hatte. Und sie dachte: Eine Weile wird das hier den Hunger fernhalten. Es reicht, um eine Amme zu bezahlen.
Die beiden Arbeiter rafften ihre Gerätschaften zusammen und ließen Rose an Aurnias frisch aufgeschüttetem Grabhügel stehen. Sobald die Erde sich gesetzt hat, dachte sie, werde ich dir einen Grabstein kaufen. Vielleicht kann ich ja genug sparen, um mehr als nur deinen Namen eingravieren zu lassen, mein Herz. Vielleicht einen gemeißelten Engel oder ein paar Verszeilen, um die Welt wissen zu lassen, um wie viel ärmer sie ohne dich ist.
Sie hörte gedämpftes Schluchzen; die Trauergemeinde von der anderen Beerdigung begann den Friedhof zu verlassen. Sie sah die bleichen, in schwarze Wolle gehüllten Gesichter, als sie im Nebel vorbeizogen. So viele, die gekommen sind, um
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