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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Lehranstalt beteiligt ist, und Jahr für Jahr wird es schlimmer.«
    »In Frankreich gib es solche Probleme nicht«, bemerkte Wendell.
    Crouch seufzte neidisch. »In Frankreich haben sie eingesehen, was für das Gemeinwohl unerlässlich ist. Die Medizinische Fakultät in Paris hat ungehinderten Zugang zu den Armenhospitälern. Dort stehen den Studenten so viele Leichen zur Verfügung, wie sie für ihr Studium benötigen. Das ist der Ort, um Medizin zu studieren.«
    Das Schankmädchen kam mit ihren Getränken und einer Schale voller dampfender Austern zurück und stellte alles auf den Tisch. »Dr. Crouch«, sagte sie. »Da ist ein Herr, der Sie zu sprechen wünscht. Er sagt, seine Frau stehe vor der Niederkunft, und es gehe ihr sehr schlecht.«
    Crouch sah sich in der Gaststube um. »Welcher Herr?«
    »Er wartet draußen mit einer Kutsche.«
    Crouch erhob sich seufzend. »Wie es aussieht, muss ich Sie verlassen.«
    »Sollen wir Sie begleiten?«, fragte Wendell.
    »Nein, nein. Lassen Sie die Austern nicht verkommen. Ich sehe Sie alle morgen früh im Krankenhaus.«
    Kaum hatte Dr. Crouch die Schenke verlassen, als seine vier Studenten sich auch schon über den Berg Austern hermachten.
    »Er hat ganz recht, sage ich euch«, meinte Wendell, während er nach einer besonders saftigen Auster griff. »Paris ist
die beste Stadt zum Studieren, und er ist nicht der Einzige, der das sagt. Wir sind hier wirklich benachteiligt. Dr. Jackson hat James dazu ermuntert, sein Studium dort abzuschließen, und Johnny Warren wird sich demnächst auch nach Paris aufmachen.«
    Edward schnaubte verächtlich. »Wenn unsere Ausbildung wirklich so minderwertig ist, wieso bist du dann noch hier?«
    »Mein Vater ist der Meinung, ein Studium in Paris sei ein unnötiger Luxus.«
    Für ihn ist es vielleicht nur ein Luxus, dachte Norris. Für mich ist es eine glatte Unmöglichkeit.
    »Zieht es dich nicht dorthin?«, fragte Wendell. »Wo du zu Füßen von Koryphäen wie Louis und Chomel lernen könntest? Und an frischen Leichen studieren, nicht an diesen halb verwesten Exemplaren, denen das Fleisch praktisch schon von den Knochen fault? Die Franzosen haben den Wert der Wissenschaft begriffen.« Er warf die leere Austernschale auf den Teller. » Das ist der richtige Ort, um Medizin zu studieren.«
    »Wenn ich nach Paris fahre«, meinte Edward lachend, »dann nicht, um dort zu studieren. Es sei denn, die weibliche Anatomie. Und die kann man überall studieren.«
    »Wenn auch nirgends so gründlich wie in Paris«, sagte Wendell und wischte sich grinsend den Saft vom Kinn. »Wenn man den Geschichten über die Leidenschaftlichkeit der Französinnen Glauben schenken darf.«
    »Mit einer gut gefüllten Geldbörse kann man sich überall Leidenschaftlichkeit erkaufen.«
    »Was auch zu kurz geratene Männer wie mich Hoffnung schöpfen lässt.« Wendell hob sein Glas. »Ah, ich fühle ein Gedicht in mir! Eine Ode auf die französische Weiblichkeit.«
    »Bitte nicht!«, stöhnte Edward. »Keine Verse heute Abend!«
    Norris war der Einzige, der darüber nicht lachen konnte. Dieses Gerede über Paris, über Frauen, die für Geld zu haben waren, riss die tiefste Wunde seiner Kindheit wieder auf.
    Meine Mutter hat sich für Paris und gegen mich entschieden. Und wer war der Mann, der sie dorthin gelockt hatte? Obgleich sein Vater sich immer geweigert hatte, darüber zu sprechen, war Norris zwangsläufig zu dieser Schlussfolgerung gelangt: Zweifellos steckte ein Mann dahinter. Sophia war gerade einmal dreißig Jahre alt gewesen, eine aufgeweckte, lebhafte junge Schönheit, gefangen auf einer Farm im abgeschiedenen Belmont. Bei welcher ihrer Reisen nach Boston war sie ihm begegnet? Welche Versprechungen hatte er ihr gemacht? Was hatte er ihr geboten als Entschädigung dafür, dass sie ihren Sohn im Stich lassen sollte?
    »Du bist auffallend still heute Abend«, sagte Wendell. »Ist es wegen dieses Gesprächs mit Dr. Grenville?«
    »Nein, ich sagte dir doch, dass es weiter nichts war. Es ging nur um Rose Connolly.«
    »Ach, dieses irische Mädchen«, sagte Edward und verzog das Gesicht. »Ich habe den Verdacht, das Mr. Pratt mehr Indizien gegen sie in der Hand hat, als wir erfahren dürfen. Und es geht nicht nur um irgendwelchen modischen Flitterkram, den sie gestohlen hat. Mädchen, die stehlen, sind auch zu Schlimmerem fähig.«
    »Ich weiß nicht, wie du so etwas von ihr behaupten kannst«, entgegnete Norris. »Du kennst sie doch gar nicht.«
    »Wir waren alle auf der

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