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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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…«

    »Ich bin gerne bereit, mich um ihn zu kümmern, Sir.«
    »Und Sie werden Charles nicht verraten, dass wir darüber gesprochen haben?«
    »Sie können sich auf mich verlassen.«
    Beide Männer erhoben sich. Grenville taxierte ihn eine Weile schweigend. »Und das werde ich auch.«

13
    Selbst ein unbeteiligter Beobachter hätte auf den ersten Blick erkannt, dass die vier jungen Männer, die an diesem Abend die Gaststube des Hurricane betraten, nicht alle von gleichem Stand waren. Wenn man einen Mann nach der Qualität seines Gehrocks beurteilen konnte, dann hob sich Norris allein schon durch diesen Umstand von seinen drei Kommilitonen ab, und ganz gewiss von dem illustren Dr. Chester Crouch, der seine vier Studenten zu einem abendlichen Umtrunk eingeladen hatte. Crouch ging voran und führte die vier durch die voll besetzte Schenke zu einem Tisch nahe dem Kamin. Dort zog er seinen schweren, mit einem Pelzkragen besetzten Mantel aus und übergab ihn dem Mädchen, das herbeigeeilt war, kaum dass sie die Gruppe in der Tür erblickt hatte. Das Schankmädchen war nicht das einzige weibliche Wesen, das ihr Eintreten zur Kenntnis genommen hatte. Ein Trio junger Damen – vielleicht Ladengehilfinnen oder abenteuerlustige Besucherinnen vom Lande – beäugte die jungen Männer interessiert, und eine lief rot an, als sie einen Blick von Edward auffing. Dieser aber war es offenbar gewohnt, die Blicke der Damenwelt auf sich zu ziehen, denn er tat ihre Schäkereien mit einem Achselzucken ab.
    Beim Schein des lodernden Kaminfeuers konnte Norris nicht umhin, Edwards elegante Halsbinde zu bewundern, geknotet à la sentimentale , und seinen grünen Gehrock mit den silbernen Knöpfen und dem Samtkragen. Norris’ drei Kommilitonen hatten sich vom Schmutz des Sektionssaals nicht daran hindern lassen, ihre feinen Hemden und ihre Pikeewesten zu tragen, während sie den alten Paddy zerlegt hatten. Er selbst hätte es nie riskiert, so teuren Musselinstoff durch solch fatale Flecken zu ruinieren. Sein eigenes Hemd
war alt und ausgefranst und nicht so viel wert wie Kingstons Krawatte allein. Er sah auf seine Hände hinunter, seine Fingernägel, die immer noch mit getrocknetem Blut verkrustet waren. Ich werde nach Hause gehen mit dem Gestank dieser alten Leiche, der immer noch in meinen Kleidern hängt, dachte er.
    Dr. Crouch rief: »Eine Runde Brandy mit Wasser für meine famosen Studenten! Und eine Austernplatte!«
    »Sehr wohl, Dr. Crouch«, erwiderte das Schankmädchen und eilte an den voll besetzten Tischen vorbei, um die Getränke zu holen, nicht ohne zuvor verstohlen in Edwards Richtung zu schielen. Wendell, obgleich nicht minder modisch gekleidet, war zu klein, um solche bewundernden Blicke anzuziehen, und Charles war zu blass und zu schüchtern. Norris schließlich war der mit dem abgetragenen Mantel und den in Auflösung begriffenen Schuhen, den man keines zweiten Blickes würdigte.
    Der Hurricane gehörte nicht zu den Gasthäusern, die Norris regelmäßig besuchte. Zwar konnte er hier und da einen ausgebeulten Mantel oder die verschlissene Uniform eines Offiziers auf halbem Sold entdecken, doch meist erblickte er um sich herum hohe Kragen sowie edles Schuhwerk, und er erkannte so manchen Kommilitonen, der mit denselben Fingern, die noch vor wenigen Stunden in blutigen Innereien gewühlt hatten, begierig nach Austern griff.
    »Die erste Sektion ist lediglich eine Einführung«, sagte Crouch, der die Stimme heben musste, um sich im Lärm der Schankstube verständlich zu machen. »Sie können die menschliche Maschine in all ihrer Großartigkeit nicht annähernd begreifen, solange sie nicht die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen bei Jung und Alt, bei Mann und Frau kennengelernt haben.« Er rückte näher an seine vier Studenten heran und fuhr mit leiserer Stimme fort: »Dr. Sewall hofft, nächste Woche eine neue Lieferung beschaffen zu können. Er hat bis zu dreißig Dollar pro Stück geboten, doch es gibt ein Problem mit dem Nachschub.«

    »Es werden doch wohl immer noch Leute sterben«, meinte Edward.
    »Aber dennoch herrscht Mangel. In der Vergangenheit konnten wir uns auf die Lieferanten aus New York und Pennsylvania verlassen. Doch inzwischen ist uns allenthalben Konkurrenz erwachsen. Die Hochschule für Ärzte und Chirurgen in New York hat dieses Jahr zweihundert neue Studenten aufgenommen, die Universität von Pennsylvania gar vierhundert. Es ist ein Wettlauf um die gleiche knappe Ware, an dem inzwischen jede zweite

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