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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ermutigt hat«, sagte Grenville. »Und doch haben Sie es mit wenig Unterstützung sehr weit gebracht.«
    »Ich habe … eine Anstellung gefunden, hier in der Stadt.« So widerwärtig die Arbeit mit Jack Burke auch sein mochte. »Es reicht, um die Studiengebühren zu bezahlen.«
    »Ihr Vater trägt nichts dazu bei?«
    »Er hat wenig, was er mir schicken könnte.«
    »Ich hoffe, er war Sophia gegenüber freigebiger. Sie hatte Besseres verdient.«
    Norris war verblüfft, den Namen aus Grenvilles Mund zu hören. »Sie kennen meine Mutter?«
    »Als meine Frau Abigail noch lebte, waren sie und Sophia
die besten Freundinnen. Aber das war vor vielen Jahren, noch vor Ihrer Geburt.« Er schwieg einen Moment. »Wir waren beide überrascht, als Sophia plötzlich heiratete.«
    Und noch überraschter, dachte Norris, mussten sie gewesen sein, als sie erfuhren, wen sie sich zum Mann gewählt hatte. Einen Farmer von geringer Bildung. Obgleich ein durchaus gut aussehender Mann, hatte Isaac Marshall doch keinerlei Interesse an der Musik und den Büchern, die Sophia so am Herzen lagen, keinerlei Interesse an irgendetwas anderem als seiner Ernte und seinem Vieh. Zögernd fragte Norris: »Sie wissen doch, dass meine Mutter nicht mehr in Belmont lebt?«
    »Ich hörte, sie sei in Paris. Ist sie immer noch dort?«
    »Soweit ich weiß, ja.«
    »Sie wissen es nicht bestimmt?«
    »Sie hat nicht geschrieben. Das Landleben war nicht einfach für sie, denke ich. Und sie …« Norris verstummte, und die Erinnerung an den Weggang seiner Mutter war wie eine kräftige Hand, die sich plötzlich um seinen Brustkorb schloss. Sie war an einem Samstag abgereist, einem Tag, an den er sich kaum erinnerte, weil er so krank gewesen war. Und Wochen später war er immer noch schwach und wacklig auf den Beinen gewesen, als er nach unten gegangen war und seinen Vater in der Küche angetroffen hatte, wo er am Fenster stand und in den Sommerdunst hinausstarrte. Isaac hatte sich zu ihm umgedreht, und seine Miene war so unnahbar gewesen wie die eines Fremden.
    »Deine Mutter hat geschrieben. Sie kommt nicht mehr zurück.« Mehr hatte Isaac nicht gesagt, bevor er zur Haustür hinausgegangen war und gleich weiter zum Stall, um die Kühe zu melken. Warum sollte irgendeine Frau auch freiwillig bei einem Mann bleiben, dessen einzige Leidenschaften die Strapazen harter Arbeit und der Anblick eines ordentlich gepflügten Feldes waren? Es war Isaac, vor dem sie geflohen war; Isaac war derjenige, der Sophia vertrieben hatte.
    Aber als mehr und mehr Zeit vergangen war, ohne dass weitere
Briefe gekommen waren, hatte Norris eine Wahrheit zu akzeptieren gelernt, die kein elfjähriger Junge hinzunehmen gezwungen sein sollte: dass seine Mutter auch vor ihm geflohen war, dass sie ihren Sohn einem Vater überlassen hatte, der seine Kühe liebevoller behandelte als sein eigen Fleisch und Blut.
    Norris holte tief Luft, und als er ausatmete, stellte er sich vor, dass auch sein Schmerz ihn verließ. Aber sie war noch immer da, die quälende Sehnsucht, nur ein einziges Mal die Frau wiederzusehen, die ihm das Leben geschenkt hatte. Und die ihm dann das Herz gebrochen hatte. So erpicht war er darauf, das Gespräch zu beenden, dass er unvermittelt herausplatzte: »Ich sollte jetzt in den Sektionssaal zurückgehen. War das alles, was Sie mit mir besprechen wollten, Sir?«
    »Da ist noch eine Sache. Es geht um meinen Neffen.«
    »Charles?«
    »Er spricht in den höchsten Tönen von Ihnen. Ja, er schaut sogar zu Ihnen auf. Er war noch sehr jung, als sein Vater an einem Fieber starb, und ich fürchte, Charles hat die zarte Konstitution seines Vaters geerbt. Meine Schwester hat ihn sehr verhätschelt, als er noch klein war, und so ist er zu einem recht empfindsamen jungen Mann herangewachsen. Umso mehr nimmt das Studium der Anatomie ihn mit.«
    Norris dachte an die Szene, die er vorhin im Sektionssaal erlebt hatte: Charles, weiß im Gesicht und am ganzen Leib zitternd, wie er nach dem Skalpell gegriffen und in blinder Frustration die Eingeweide zerstückelt hatte.
    »Das Studium fällt ihm schwer«, fuhr Grenville fort, »und er erfährt nur wenig Ermutigung von seinem Freund Mr. Kingston. Nur Spott und Hohn.«
    »Wendell Holmes ist ihm ein guter und hilfsbereiter Freund.«
    »Ja, aber Sie sind vielleicht der geübteste Präparator in Ihrem Kurs. Das höre ich jedenfalls von Dr. Sewall. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie darauf achtgeben wollten, ob Charles zusätzliche Anleitung braucht

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