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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Angelegenheiten, sondern trank in Ruhe seinen Rum. Niemand zählte, wie oft Fanny ein leeres Glas abräumte und es durch ein volles ersetzte. Niemand achtete darauf, dass der Mann immer weiter nach vorn sackte, bis sein Kopf auf seinen Armen ruhte.
    Einer nach dem anderen wankten die Gäste, deren Taschen
sich geleert hatten, hinaus in die Kälte, bis nur noch einer übrig war – der schnarchende Matrose am Ecktisch.
    Fanny ging zur Tür, schob den Riegel vor und drehte sich zu Jack um.
    »Wie viel hast du ihm gegeben?«, fragte er.
    »Genug, um ein Pferd zu ersäufen.«
    Der Matrose schnarchte rasselnd.
    »Er ist noch ganz schön lebendig«, stellte Jack fest.
    »Ich kann’s ihm ja schlecht in den Schlund gießen.«
    Sie starrten auf den schlafenden Mann, von dessen Lippen ein langer, schleimiger Speichelfaden rann. Über dem ausgefransten Rockkragen war sein Nacken schwarz von Kohlenstaub. Eine fette Laus, prall voll mit Blut, krabbelte durch einen wirren Verhau blonder Haare.
    Jack gab ihm einen Knuff in die Schulter, doch der Mann schnarchte ungerührt weiter.
    Fanny schnaubte. »Du kannst nicht erwarten, dass sie alle schön brav umkippen.«
    »Er ist noch jung. Sieht kerngesund aus.« Zu gesund.
    »Ich hab ihm gerade eine Unmenge an Rum eingeflößt, für den er nicht bezahlt hat. Das gibt mir niemand wieder.«
    Jack stieß den Mann fester an, worauf er langsam vom Stuhl sackte und mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden landete. Jack starrte ihn einen Moment lang an, dann bückte er sich und rollte ihn auf den Rücken. Verdammt. Er atmete immer noch.
    »Ich will das Geld für meinen Rum wiederhaben«, beharrte Fanny.
    »Dann mach du es.«
    »Ich bin nicht stark genug.«
    Jack betrachtete ihre Arme, kräftig und muskulös vom Stemmen schwerer Tabletts und Fässer. Oh, sie war gewiss stark genug, einen Mann zu erwürgen. Sie scheute nur die Verantwortung.
    »Na los, mach schon«, drängte sie ihn.
    »Ich darf keine Spuren an seinem Hals hinterlassen. Das wäre verdächtig.«

    »Alles, was die wollen, ist eine Leiche. Wo sie herkommt, interessiert keinen.«
    »Aber ein Mann, der ganz offensichtlich ermordet wurde …«
    »Feigling.«
    »Ich will dir doch nur erklären, dass es natürlich aussehen muss.«
    »Dann sorgen wir dafür, dass es natürlich aussieht.« Sie betrachtete den am Boden liegenden Mann mit zusammengekniffenen Augen. Oh, niemand konnte sich wünschen, von einer Frau wie Fanny so angesehen zu werden. Jack fürchtete sich nicht vor vielen Dingen, aber er kannte Fanny gut genug, um zu wissen: Wen sie einmal im Visier hatte, der konnte sein Testament machen. »Warte hier«, sagte sie.
    Als ob er vorhätte, zu verschwinden.
    Er lauschte auf ihre Schritte, als sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufstapfte. Kurz darauf kam sie mit einem abgewetzten Kissen und einem schmutzigen Lumpen zurück. Er begriff sofort, was sie vorhatte, doch auch als sie ihm diese harmlos aussehenden Instrumente des Todes in die Hand drückte, rührte er sich nicht von der Stelle. Er hatte schon Leichen ausgegraben, denen das Fleisch von den Knochen gefallen war. Er hatte sie aus dem Fluss gefischt, hatte sie aus aufgebrochenen Särgen gezogen, sie in Fässer mit Salzlake geworfen. Aber einen eigenhändig zur Leiche zu machen , das war etwas ganz anderes. Darauf stand der Galgen.
    Trotzdem. Zwanzig Dollar waren zwanzig Dollar, und wer würde diesen Mann schon vermissen?
    Jacks Kniegelenke knackten, als er neben dem betrunkenen Matrosen in die Hocke ging und den Lumpen zusammenballte. Die Kiefermuskeln des Mannes waren erschlafft, die Zunge hing ihm seitlich heraus. Jack stopfte ihm den Lumpen in den weit offenen Mund. Sofort schnellte der Kopf des Mannes hoch, und er sog pfeifend die Luft durch die Nase ein. Jack nahm das Kissen und drückte es ihm auf Mund und Nase. Schlagartig war der Mann hellwach und griff nach
dem Kissen, versuchte es wegzureißen, um atmen zu können.
    »Halt die Arme fest! Die Arme!«, schrie Jack.
    »Ich versuch’s ja, verdammt!«
    Der Mann bäumte sich auf und wand sich, die Fersen seiner Stiefel trommelten auf den Boden.
    »Ich kann ihn nicht festhalten! Er will einfach nicht still liegen!«
    »Dann setz dich auf ihn!«
    »Setz du dich auf ihn!«
    Fanny raffte ihre Röcke und pflanzte ihren ausladenden Hintern auf die Lendengegend des Mannes. Während er zuckte und sich aufbäumte, ritt sie ihn wie eine Hure, ihr Gesicht rot und verschwitzt.
    »Er wehrt sich immer noch«, sagte Jack.
    »Halt

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