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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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mit Schrecken, wie eine Laus über die Brust des Toten krabbelte. Läuse blieben nicht lange auf einer Leiche sitzen, und doch wimmelte es auf diesem Körper noch von ihnen. Sieht er es? Weiß er Bescheid?
    Dr. Sewall stellte die Lampe ab und verließ das Zimmer. Jack hatte das Gefühl, dass er sehr lange weg war – viel zu lange. Doch dann kam er zurück, in der Hand einen Beutel voller Münzen.
    »Dreißig Dollar«, sagte er. »Können Sie mir noch mehr solche besorgen?«

    Dreißig? Das war mehr, als Jack erwartet hatte. Grinsend nahm er den Beutel entgegen.
    »So viele, wie Sie finden können«, sagte Sewall. »Ich habe Käufer.«
    »Dann werde ich noch mehr finden.«
    »Was ist denn mit Ihren Händen passiert?« Sewall fixierte die roten Kratzer, die die Fingernägel des Opfers auf Jacks Haut hinterlassen hatten. Sofort zog Jack die Hände zurück und verbarg sie in den Falten seines Mantels. »Hab’ne Katze ersäuft. Die war damit gar nicht einverstanden.«
    Die Münzen klingelten fröhlich in Jacks Tasche, als er den leeren Wagen über das holprige Pflaster lenkte. Was waren schon ein paar Kratzer an den Händen, wenn man dafür dreißig Dollar einstecken konnte? Das war mehr, als er je für ein einziges Exemplar kassiert hatte. Den ganzen Heimweg über sah er Bilder von prall gefüllten Geldsäcken mit schimmernden Goldmünzen vor sich. Das einzige Problem waren die Gäste des Black Spar: Es waren einfach nicht genug, und wenn er so weitermachte, würden bald gar keine mehr übrig sein. Es war alles die Schuld dieser verfluchten Fanny – sie verjagte sie alle mit ihrem Jähzorn und ihrem elenden Geiz. Das musste sich auf der Stelle ändern. Zuerst einmal würden sie ein bisschen mehr Großzügigkeit an den Tag legen. Den Rum nicht mehr verwässern, und vielleicht kleine Speisen gratis anbieten.
    Nein, das mit dem Essen war eine schlechte Idee. Dann würde es nur noch länger dauern, sie betrunken zu machen. Besser wäre es, einfach den Rum fließen zu lassen. Jetzt musste er zuerst einmal Fanny überzeugen – keine leichte Aufgabe. Aber wenn er diesen Beutel voller Münzen vor ihren gierigen Augen schwenkte, würde ihr gewiss ein Licht aufgehen.
    Er bog in die schmale Durchfahrt ein, die zu seinem Hoftor führte. Da riss er plötzlich an den Zügeln und hielt das Pferd an.
    Vor ihm stand eine Gestalt in einem schwarzen Cape, deren
Silhouette sich von den eisglatt glänzenden Pflastersteinen abhob.
    Jack kniff die Augen zusammen, um das Gesicht zu erkennen. Die Züge waren durch die Kapuze verdunkelt, und als die Gestalt näher trat, konnte er nur den bleichen Schimmer der Zähne sehen.
    »Sie waren fleißig heute Abend, Mr. Burke.«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Je frischer sie sind, desto mehr bringen sie ein.«
    Jack gefror das Blut in den Adern. Jemand hat uns gesehen. Er saß reglos da, und sein Herz klopfte wild, während sich seine Hände um die Zügel krampften. Ein einziger Zeuge genügt, und ich baumle am Galgen.
    »Ihre Frau hat angedeutet, Sie würden sich gerne auf bequemere Weise Ihren Lebensunterhalt verdienen.«
    Fanny? Was zum Teufel hatte sie ihm nun schon wieder eingebrockt? Jack glaubte fast sehen zu können, wie die Kreatur grinste, und ein Schauer überlief ihn. »Was wollen Sie?«
    »Sie sollen mir einen kleinen Dienst erweisen, Mr. Burke. Ich möchte, dass Sie jemanden finden.«
    »Wen?«
    »Ein Mädchen. Ihr Name ist Rose Connolly.«

20
    Im Logierhaus in der Fishery Alley waren die Nächte niemals still.
    Eine neue Mieterin hatte sich in dem ohnehin schon voll belegten Zimmer zu ihnen gesellt, eine ältere Frau, seit Kurzem verwitwet, die sich ihr Zimmer in der Summer Street – ein Einzelzimmer mit einem richtigen Bett – nicht mehr leisten konnte. In der Fishery Alley landete man, wenn einem das Glück unter den Händen zerfiel, wenn der Mann starb, die Fabrik schloss oder man zu alt und hässlich war, um noch für einen Freier interessant zu sein. Diese neue Bewohnerin war mit einem doppelten Fluch beladen: nicht nur verwitwet, sondern auch krank, gequält von einem feuchten Husten. Zusammen mit dem schwindsüchtigen Mann, der in der Ecke im Sterben lag, bildete sie ein Husten-Duett, begleitet vom Schnarchen, Schniefen und Rascheln der übrigen Mieter. So viele Menschen waren hier auf engstem Raum zusammengepfercht, dass man auf Zehenspitzen über schlafende Leiber hinwegsteigen musste, wenn einen der Harndrang zum Eimer trieb. Und wenn man dabei aus Versehen über

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