Leichenschänder
wiederholte meine Frage, und Erwin antwortete: „Glauben Sie, ich kenn jeden Trottel, der hier wohnt?“
Dann knallte er mir die Tür vor der Nase zu.
Neun
Die nächsten Tage hielt ich mich nicht länger als unbedingt nötig in der Redaktion auf. Stattdessen durchstreifte ich den weitläufigen Karl-Marx-Hof, klingelte an Türen und tischte den Hausbesorgerinnen meine Lügengeschichte auf. Ich erntete nichts als Kopfschütteln, eindeutig zweideutige Angebote und Drohungen von eifersüchtigen Ehemännern, die mich für einen Nebenbuhler hielten.
Bis zum Wochenende hatte ich knapp die Hälfte aller Hausbesorgerinnen abgeklappert und noch immer keine Spur von meinem kleinen Irren entdeckt. Langsam ging mir diese Sucherei auf die Eier.
Am Montag verließ ich die Redaktion gegen Mittag unter dem Vorwand, für eine nicht näher genannte Geschichte recherchieren zu müssen, und fuhr mit dem Taxi hinaus zum Karl-Marx-Hof. Ich setzte mich auf eine Bank in einem der Innenhöfe, genoss die für einen Februartag ungewöhnlich kräftige Sonne und gönnte mir eine Zigarette. Das warme Wetter hatte etliche Kinder ins Freie gelockt, die von ihren Müttern, Tanten und Omas beaufsichtigt wurden. Das eindringliche Gemurmel der Erwachsenen mischte sich mit dem hellen Geschrei der Kinder und der kühlen Brise, die durch die kahlen Bäume fuhr.
Zwei Frauen unbestimmten Alters setzten sich neben mich, zogen je eine Packung
Hobby
aus ihren Kitteltaschen und begannen wie wild zu rauchen.
„Dieser Mikanuda wieder!“, fing die eine an. „Jeden Tag sag ich dem, er soll das Stiegenhaus nicht immer mit seinen ekligen Zigarillos vollstinken. Aber nützt es was? Nein! Der grinst einen nur blöd an und geht weiter. Aus der Wohnung sollte man den schmeißen. Der war angeblich Arzt, und trotzdem raucht er wie ein Schlot, wo er doch wissen müsste, wie ungesund diese Zigarillos für seine Lunge sind.“
Sie nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette und schüttelte wütend den Kopf. Ihre Nachbarin nickte gewichtig und stimmte ihr wort- und gestenreich zu.
Ich betrachtete geistesabwesend die Rauchschwaden, die durch die klare Luft schwebten, als ein Gedankenblitz mein Gehirn durchzuckte: Das war es, was auf den Fotos, die ich in Stefans Wohnung geschossen hatte, nicht stimmte!
Der Zigarillostummel im Blumentopf. Er hätte nicht dort sein dürfen.
Stefan hatte für ein striktes Rauchverbot in seiner Wohnung gesorgt. Und auch Chefinspektor Wachtelgruber hatte beinahe einen Anfall bekommen, als ich mir eine Zigarette hatte anzünden wollen. Und der Kriminalist hätte es mit Sicherheit nicht geduldet, dass einer seiner Mitarbeiter an einem Tatort einen Zigarillo rauchte.
Also konnte der Stummel nur vom Mörder stammen.
Ich wandte mich den beiden Schönheiten zu, aktivierte mein strahlendstes Lächeln und sagte: „Entschuldigung, die Damen. Sie haben gerade über einen gewissen Mikanuda gesprochen. Könnten Sie mir verraten, wie der Mann aussieht?“
„Wieso, sind Sie von der Polizei?“, fragte die Frau neben mir, ein grotesk fettes Etwas in einem dicken, rosafarbenen Kittel, auf dem grüne Kühe zerdehnt wurden. „Hat der Mikanuda was ausgefressen?“ Ihre großen Augen zeigten keinerlei Zurückhaltung.
Ich stellte mich vor und erzählte ihr die Lügengeschichte mit der Schwangeren und der Geburt in der Straßenbahn.
„Was, der Mikanuda hat ein Kind auf die Welt gebracht? Ich hab geglaubt, der säuft den ganzen Tag, wenn er nicht gerade sein Geld an diesen Automaten verspielt.“
„Ich glaube, Erna, da tust du dem Mikanuda Unrecht“, sagte ihre Banknachbarin. „Der soll doch früher Chirurg gewesen sein. Also ich glaub schon, dass der ein Kind auf die Welt bringen könnte, auch in einer Tram.“
„Da hast du allerdings recht, Purgi. Es ist eine Schande, was die Trinkerei aus ihm gemacht hat.“ Sie hob ihre abgearbeiteten Hände Richtung Himmel und stieß einen leisen Seufzer aus.
„Entschuldigen Sie, Sie haben mir noch nicht gesagt, wie dieser Mikanuda ausschaut“, unterbrach ich die beiden, obwohl ich tief drin in meinem schwarzen Herzen die Antwort bereits kannte.
„Wie eine Ratte!“, sagte Erna und kicherte. „Er ist klein und hat gelbe Zähne.“
„Und eine Stirnglatze“, warf Purgi beinahe frohlockend ein.
Bingo, du Arschloch! Hab ich dich!
„Wissen Sie, wo der Mikanuda wohnt?“, fragte ich.
„Ja freilich“, sagte Erna. „Ich bin doch die Hausbesorgerin von seiner Stiege. Die ist gleich da drüben, die
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