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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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dauern.“
    „Können Sie mich in der Redaktion anrufen, falls sich was Neues ergibt?“, fragte ich.
    „Wenn ich’s nicht vergesse …“ Wachtelgruber lachte und legte auf.
    Als ich mich umdrehte, stand Franziska Rosauer in einem Bademantel vor mir und schaute verlegen zu Boden.
    „Alles in Ordnung?“, fragte ich.
    „Ich hoffe, Sie haben mich vorhin nicht falsch verstanden.“
    „Ich glaube, ich hab Sie ganz richtig verstanden.“
    „Ich bin nicht Ihr Typ, stimmt’s? Nein, warten Sie … Ich bin Ihnen zu alt. Ist es das?“
    „Sie sind eine umwerfend schöne Frau“, sagte ich, und das meinte ich ernst.
    „Aber …“
    „Aber ich versuche, diesen Fototermin mit einem Hauch vom Professionalität über die Bühne zu bringen.“
    Sie küsste mich sanft auf den Mund und sagte: „Das ist der netteste Korb, den ich je bekommen habe.“
    Ich schlüpfte in meinen Mantel, schnappte meine Fotoausrüstung, wünschte Franziska Rosauer viel Glück fürs Vorsprechen, nahm den Lift nach unten, verstaute meine Tasche im Wagen und fuhr zum Karl-Marx-Hof.
    Bei der U-Bahn-Station Heiligenstadt ließ ich den Fiesta stehen und betrat auf gut Glück den ersten Innenhof des riesigen Wohnkomplexes. Die Chancen, hier meinen Irren zu finden, waren ungefähr so groß wie die, in
Voll Dran!
über einen fehlerfreien Satz zu stolpern. Keine guten Aussichten.
    Ich setzte mich auf eine Bank und überlegte, wie ich am besten vorgehen sollte. Ich hätte an jede einzelne Tür klopfen können, aber eine grobe Schätzung ergab, dass ich dann knapp tausend Leute hätte befragen müssen, was eine Ewigkeit dauern würde. Außerdem konnte ich mir nicht sicher sein, dass der Irre überhaupt hier wohnte. Der Taxler hatte ihn zwar vorne an der Straße abgesetzt, aber vielleicht war der Irre mit der U-Bahn oder Tram weitergefahren, oder er wohnte auf der anderen Seite der Heiligenstädter Straße und nicht im Karl-Marx-Hof. Dann würde ich den Wichser vermutlich niemals finden. Ein frustrierender Gedanke.
    Nach reichlichem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass es wohl am vernünftigsten sein würde, alle Hausbesorgerinnen zu befragen, denn die wüssten wohl am ehesten, ob der Irre hier wohnte, und falls ja, wo genau. Das ersparte mir zwar das Abklappern der einzelnen Wohnungen, dennoch würde die Suche verdammt zeitaufwendig werden. Eine hübsche Beschäftigung für meine freien Tage und Abende.
    Ich holte meinen Notizblock aus der Manteltasche und machte mich an die Arbeit, indem ich bei der ersten Hausbesorgerin klingelte.
    Eine Frau in einem pinkfarbenen Trainingsanzug öffnete die Tür. Aus dem Hintergrund drangen Babylärm und die hysterische Stimme einer Seifenopernmarionette nach draußen.
    „Guten Tag, gnädige Frau, Breitmaier von
Voll Dran!
, der Zeitung für den kleinen Bürger mit den großen Sorgen. Ich schreibe eine Reportage über Menschen, die anderen Menschen im Alltag helfen.“
    Die Lady in Pink starrte mich herausfordernd an und sagte: „Was hab ich damit zu tun?“
    „Nun, vor zwei Tagen bekam eine Frau in der Straßenbahn ihre Wehen. Sie schaffte es nicht mehr ins Spital, und ein Fahrgast hat ihr Baby gleich vor Ort entbunden. Unglücklicherweise verschwand er sofort darauf. Laut Zeugenaussagen soll er vorne bei der U-Bahn-Station ausgestiegen sein. Und jetzt suche ich diesen herzensguten Samariter, um ein Portrait von ihm in
Voll Dran!
zu bringen. Ich dachte, er wohnt vielleicht hier im Karl-Marx-Hof, und möglicherweise kennen Sie ihn.“
    Ich war erstaunt, wie glatt mir dieses Ammenmärchen über die Lippen gekommen war. Wer weiß, vielleicht hatte Huber recht und ich war wirklich ein begnadeter Boulevardjournalist.
    Die Hausbesorgerin schaute mich mit großen, feuchten Augen an und sagte: „Wie sah dieser herzensgute Samariter denn aus?“
    „Ziemlich klein, Anzug, Stirnglatze.“
    Die Hausbesorgerin überlegte ein paar Sekunden und schüttelte dann den Kopf. Nein, einen Mann, auf den diese Beschreibung zutraf, kenne sie nicht. Aber ihr Gatte könne mir vielleicht helfen, der sei nämlich im Moment arbeitslos und deshalb zu Hause.
    Sie drehte sich um und brüllte: „Erwin, kannst du mal kommen? Hier ist ein Reporter, der dir gern ein paar Fragen stellen würde!“
    Erwin schlurfte sichtlich schlechtgelaunt zur Tür. Seine Stirnfransen reichten beinahe bis zu den Augenbrauen und in seinem männlichen Brustfell versteckte sich ein goldenes Kreuz. Er trug nur Boxershorts. Sie waren mit Dinosauriern bedruckt.
    Ich

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