Leichensee
Fuß suchen. Allerdings braucht er dann auch ein Versteck, das ihm Schutz vor der Witterung bietet und gleichzeitig einsam gelegen ist. Klingelt da was bei Ihnen, Spencer?«
»Wenn Sie mich so direkt fragen, kommt mir eigentlich nur die alte Fischfabrik in den Sinn. Das Areal steht seit Jahren leer und liegt ziemlich weitab vom Schuss.«
»Könnten Sie mir den Weg dorthin skizzieren? Ich möchte mir diese Fischfabrik näher ansehen.« Cotton drehte sich Decker um. »Was ist, Special Agent? Lust auf einen kleinen Ausflug?«
Die Gefragte nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, stellte die Tasse bedächtig ab und stand auf. »Gehen wir.«
Mit der Wegbeschreibung zur Fischfabrik und dem Zündschlüssel verließen Cotton und Decker das Haus.
Die Fahrt dauerte länger als gedacht. Nach einer halben Stunde verließen die Agents die Landstraße und bogen auf einen tief verschneiten Feldweg ab. Der Wagen rutschte und hoppelte über den unebenen Boden, der sich unter der Schneedecke verbarg. Die Strecke führte an einem Waldstück vorbei und mündete nach einer halben Meile auf einem freien Feld. Darauf zeichneten sich die schwarzen Umrisse eines lang gezogenen Gebäudekomplexes ab. Die Wände bestanden aus marodem Mauerwerk, das Dach aus Wellblech.
Cotton schaltete die Scheinwerfer aus. Im zweiten Gang rollte der Impala weiter. Fünfzig Fuß vor dem Haupttor stoppte der Wagen. Cotton stellte den Motor ab.
»Wir wissen nicht, ob Dodson wirklich da drin ist.« Er ließ die Zündschlüssel in seiner Jackentasche verschwinden, stieß die Fahrertür auf und stieg aus. »Trotzdem sollten wir vorsichtshalber so tun, als ob er es wäre.«
»Gut, gehen wir rein und sehen nach.« Decker nahm Carnahans Taschenlampe aus dem Handschuhfach, schaltete sie aber noch nicht ein.
Mit der schussbereiten Dienstwaffe in der anderen Hand verließ sie das Fahrzeug. Cotton kam um die Motorhaube herum auf Decker zu.
»Meinen Sie, er ist bewaffnet?«, fragte sie.
Cotton zog seine Kimber aus dem Halfter, entsicherte sie und lud sie durch. »Das werden wir spätestens wissen, wenn uns die Kugeln um die Ohren pfeifen.«
Das Krächzen einer Krähe zerriss die Stille. So lautlos es der Schnee unter den Sohlen zuließ, bewegten die Agents sich geduckt auf das Metalltor zu. Einer der beiden Torflügel stand halb offen. Die Sinne aufs Äußerste geschärft, hielten Cotton und Decker nach Fenstern und Seitentüren Ausschau, ob sich in ihren Schatten etwas bewegte.
Kurz vor dem Haupttor stießen sie auf Spuren im Schnee. Sie kamen von der Seite und führten zum Eingang. Der Größe und Tiefe der Abdrücke nach zu urteilen, stammten sie von einem großen, schweren Mann. Das nährte Cottons Zuversicht, dass sie tatsächlich Dodsons Versteck gefunden hatten.
Am Tor angekommen, hielten beide einen Moment inne. Niemand wusste, ob der Gesuchte bewaffnet war. Falls ja, würden sie beim Betreten der Halle ein leichtes Ziel abgeben. Ihre Silhouetten hoben sich gut sichtbar vor dem hellen Schnee ab.
Cotton blickte zu Decker. Sie stand auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs, fing seinen Blick auf und nickte ihm zu. Entschlossen betrat Cotton die Halle. Decker bewegte sich seitlich neben ihm. Ihre Pistole hielt sie schussbereit mit gerade ausgestrecktem Arm. Nach wenigen Schritten verschluckte sie die Finsternis. Beide blieben stehen, darauf hoffend, dass ihre Augen sich bald an die Dunkelheit gewöhnten.
Decker knipste die Taschenlampe an. Das Licht riss rostende Eisenskulpturen, die früher ein funktionierendes Geflecht aus Fließbändern und klobigen Maschinen gewesen waren, aus der Dunkelheit. Obwohl die Fabrikation schon seit Jahren eingestellt war, hing immer noch ein schwacher Fischgeruch in der Luft.
»Diese Stille gefällt mir nicht«, flüsterte Decker.
»Mir auch nicht«, gestand Cotton leise. »Irgendwer ist hier drin.« Er überlegte kurz, wie er denjenigen aus der Reserve locken könnte, und rief dann: »Dodson, geben Sie auf. Machen Sie es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon für Sie ist. Sie haben nur zwei Optionen, hier rauszukommen: gefangen oder tot.«
Aus der Dunkelheit erklang das Quieken von Ratten. Decker ließ den Strahl der Taschenlampe umherschweifen. Das Licht verlor sich im Dunkel der riesigen Fertigungshalle.
»Weiter.« Decker stieg die Stufen einer Stahltreppe hinauf, die zu einer Art Galerie führte. Von dort oben erhoffte sie sich einen besseren Überblick über die untere Halle. Der Boden bestand aus
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