Leichentanz
erfahren hatte, das hatte er noch nie in seinem Leben gehört und wollte es auch nicht glauben.
Wie eine Sturzflut waren die Worte aus der Frau hervorgebrochen und hatten Simmons direkt überschüttet. Ihm war nichts anderes geblieben, als zuzuhören, obwohl er sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte, statt dessen spielte er mit einem Kugelschreiber, ließ ihn mal auf der Spitze tanzen, dann wieder auf dem Druckknopf und lauschte dem leisen Klicken, das die Stimme trotzdem durchdrang.
»Aber wie ich sehe, glauben Sie mir kein Wort, Mister Simmons.«
»Wie bitte?«
»Sie glauben mir wohl kein Wort.«
»Soll ich ehrlich sein, Mrs. Leginsa?«
»Ich bitte darum.«
»Kein Wort glauben, das ist zuviel gesagt. In der Tat fällt es mir schwer, Ihrem Bericht zu folgen. Er ist schwierig, er hört sich unwahrscheinlich an.«
»Das ist er auch«, behauptete die Frau. »Aber Sie werden es kaum glauben, er entspricht der Wahrheit.«
»Hm.«
»Sagen Sie mehr, Konstabler.«
»Sie meinen also, da ist tatsächlich irgend jemand aus dem Grab gekrochen?«
»Nicht irgend jemand, Konstabler, sondern eine Person, die eigentlich keine ist. Mehr eine Unperson. Sie ist auch nicht aus einem Grab hervorgekrochen, sie hat die Erde verlassen, denn was Sie als Grab bezeichnet haben, daß ist eine Massenunterkunft für Tote. Der Armenfriedhof, das Gräberfeld derjenigen, um die sich im Leben niemand gekümmert hat und im Tod auch nicht.«
Simmons grinste schief. »Und einer dieser Armen hat sein Grab nun verlassen.«
»Nein!«
»Wer dann?«
Joanna Leginsa merkte genau, daß der Polizist sie nicht ernst nahm. Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie sollen mir glauben, Mister Simmons, nicht hier das große Theater machen oder mich als eine Närrin darstellen.« Sie räusperte sich. »Ich weiß genau, wovon ich geredet habe. Ich habe mir nichts eingebildet, es ist kein Armer aus dem Grab gestiegen, es war auch kein lebender Toter, sondern eine widerliche, schleimige und ekelhaft nach Leiche stinkende Gestalt, die sogar einen normalen Anzug trug und auf ein Leichenhemd verzichten konnte. Wissen Sie jetzt, was ich gemeint habe?«
»Ja, das wußte ich schon längst.«
»Wie schön für uns beide, Konstabler. Und dagegen sollten Sie etwas tun.«
»Gegen wen?«
»Natürlich gegen ihn.« Joanna hob beide Hände. »Er… er hat sogar noch einen bleichen Knochen in der Hand gehalten, der aussah, als wäre er von dieser Unperson abgeleckt worden.«
Simmons nickte.
»Sie wollen also, daß wir uns den Friedhof einmal anschauen.«
Joanna Leginsa beugte sich vor. »Erstens das, und zweitens möchte ich, daß sie den Friedhof untersuchen. Umgraben, verstehen Sie?«
»Ja, aber ich begreife nicht.«
»Nein?«
Simmons schüttelte den Kopf. »Warum sollten wir da etwas umgraben, als würden wir nach alten Knochen suchen?«
»Die werden Sie vielleicht nicht finden, Konstabler.«
»Ach, und weshalb nicht?«
Sie beugte ihren Oberkörper vor und spitzte die Lippen, als wollte sie den Mann küssen. »Weil es wahrscheinlich keine Skelette, Gebeine oder was auch immer dort unten gibt. Ich habe eher den Eindruck, als wäre dort nichts mehr.«
»Alle… alle weg?«
»Ja.«
Simmons lächelte und strich dabei über seinen grauen Oberlippenbart.
»Wissen Sie, Mrs. Leginsa, ich habe Ihnen geduldig zugehört. Man hat Sie nicht grundlos in meine Obhut gegeben, aber auch ich bin nur ein Mensch, und Menschen haben nun mal Grenzen.«
Die Frau versteifte sich.
»Moment mal, soll das heißen, daß Sie mir nicht glauben?«
Der Konstabler hob die Schultern. »Ob es das heißen soll oder nicht, überlasse ich Ihnen. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich Ihre Erzählungen aufgenommen habe, nachdem Sie sich einverstanden erklärten, und daß es mir sehr schwerfallen wird, meine verantwortlichen Vorgesetzten davon zu überzeugen, Ihren Aussagen nach eine Aktion zu starten.«
Mrs. Leginsa saß noch immer steif und aufrecht. »So, das also ist das Resultat meiner Bemühungen?«
Er breitete die Arme aus. »Ich sage Ihnen die volle Wahrheit, Mrs. Leginsa.«
»Dann danke ich Ihnen.«
Der barsche Tonfall in der Stimme hatte Konstabler Simmons schon aufgeschreckt. »Wie soll ich das denn nun wieder verstehen? Ihre Reaktion, meine ich.«
»Wie ich es sagte.«
»Bitte, Mrs. Leginsa. Es geht nicht anders. Ich muß den Dienstweg einhalten, und in den folgenden Stunden wird wohl niemand etwas unternehmen.«
Erst streckte sie den Zeigefinger nach oben,
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