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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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auf ihrer Unterlippe und bemühte sich nach Kräften, das Gesicht nicht zum Weinen zu verziehen. Die Wellen wurden größer. Nach einer Weile schrie sie: »Versprich, nicht zu sterben!«
    Es war die unmögliche Bitte von Liebenden überall. Er lachte. »Ich werde mich bemühen!«
    Der Wal hob sich. Er glitt mit einer Welle höher auf den Sand und wurde dann ins offene Wasser hinausgezogen. Die Männer platschten hinterher und versuchten, ihn an den entblößten Knochen seines Kopfes festzuhalten, doch das Meer gab nicht nach. Der Wal drehte sich und lag nun halb unter Wasser. Schäumend brach sich eine Welle an seinem Leib. Von seinem Speck befreit und von Löchern durchsetzt rutschte der Wal tiefer ins Wasser; er kehrte in sein Element zurück, um seine Knochen auf dem Meeresgrund zur letzten Ruhe zu betten. Einer der Männer wurde von einer Welle umgeworfen. Livia konnte seinen Kopf in den Schatten und der Gischt kaum sehen. »Sie müssen ihn lassen«, rief sie in den Wind, ohne sich darum zu scheren, ob Teddy es hörte. »Einfach lassen!«
    Agatha, die nicht zum ersten Mal von einem Mann im Dunkeln zurückgelassen wurde, wartete in dem Dachzimmer, noch immer auf eine Hand gestützt, bis ihr die Handfläche zu jucken begann, weil sich winzige Sägespäne in ihre Haut gruben. Sie drehte sich ein wenig, lehnte sich an die Kloschüssel und streckte die Beine aus. Die Luke, durch die Winn verschwunden war, hob sich als undeutliches Rechteck von derFinsternis ab. Gelegentlich fegte eine Bö durch das Zimmer, wirbelte Staub auf und machte ihr auf den bloßen Armen eine Gänsehaut. Sie umschlang ihren Oberkörper. Wo war er? Mit der gesunden Hand an der Kloschüssel hievte sie sich hoch und suchte ihren Weg zur Stiege, die Arme im Dunkeln vor sich ausgestreckt.
    Als sie durch die Luke trat, sah sie, dass die Dachterrasse leer war, und dachte voll Schreck, dass er wohl gesprungen sein musste. Sie beugte sich über das Geländer und spähte nach unten. Der Boden war nicht zu sehen, jedenfalls nicht deutlich. Sie erkannte Formen, die Zementsäcke oder Steinhaufen, aber vielleicht auch ein menschlicher Körper sein mochten. »Winn!«, rief sie. »Winn!« Dann sah sie es: Über die Schindeln am First bewegte sich langsam ein Lichtkreis und dahinter eine lange, dunkle, kriechende Gestalt.
    Er hörte sie rufen, konnte aber nicht antworten, weil der Gummigriff der Taschenlampe ihm den Mund verstopfte. Wenn er für eines dankbar sein konnte, dann dafür, dass diese Wolken noch keinen Regen gebracht hatten. Sie schienen nur Zentimeter über ihm zu hängen, ein wogender schwarzvioletter Baldachin. Wenn er es riskieren könnte, seinen Griff zu lockern, würde er sie vielleicht sogar berühren können. Seit seiner ersten Reise mit dem Flugzeug als Kind hatte er immer eine Wolke berühren wollen, um ihre Substanz wirklich zu fühlen, und auch wenn er mit der Zeit eingesehen hatte, dass es unmöglich war, hatte ihn der Wunsch nicht verlassen. Ihm taten die Kiefer und sein Bein weh, aber er klemmte die Knie weiter um Jack Fenns First und kroch über die harten, rauen Schindeln. Schließlich spürten seine Finger Ziegel – ein Schornstein. Jetzt musste er sich bloß noch um den herumquetschen, einen kleinen Giebel erklimmen undüber einen weiteren First zu der kitschigen kleinen Kuppel mit dem Wetterhahn gelangen.
    Mit der Umsicht eines Bergsteigers im Anstieg auf den Gipfel des Mount Everest zog er sich hoch. Seine Finger krochen über die Ziegelsteine nach oben, bis sie an der Oberkante Halt fanden, und dann umschlang er den Schornstein wie eine Tanzpartnerin. Eine besonders heftige Bö zerrte an ihm und brachte die ersten Regentropfen; er klammerte sich so an den Schornsteinrand, dass seine Finger schmerzten. Eins, zwei, drei. Eine beherzte Drehung um den Schornstein, ein rascher Steilanstieg und ein panischer Sprung, und schon lag er bäuchlings auf der obersten Spitze von Jack Fenns Haus. Als er mit beiden Händen und beiden Füßen nach Halt tastete, rutschte ihm die Taschenlampe aus dem Mund. Während sie über die Schindeln rollte, beschrieb ihr regengestreifter Strahl schwindelerregende Bögen. Dann traf sie mit einem Scheppern auf eine Regenrinne und segelte lautlos in die Dunkelheit hinab.
    Ohne Licht schwebte die Wetterfahne über ihm wie ein dicker schwarzer Klecks. Seine Brillengläser waren voller Regentropfen, fast blind schob er sich über den First wie ein Matrose auf einem Rundholz am Mast. Die Schindeln hatten seine

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