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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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versteckt unter den Ranken der Schwarzäugigen Susanne, den abgenutzten Brettern unter der Außendusche. Die Küchenschränke wurden aufgerissen, um die Schneidebretter, das Olivenöl, den riesigen schwarzen Hummertopf zu begrüßen. Sie schaukelten in der Hängematte und hievten das Garagentor hoch und schauten durch dichten Staub nach dem umgedrehten Kanu auf seinen Böcken und dem uralten Landrover, den sie auf der Insel hatten. Die Mädchen belagerten Winn, bis er sich erweichen ließ, die Luke zum Ausguck auf dem Dach zu öffnen, dem Witwensteig, von wo aus sie die ganze Insel überblicken konnten. Irgendwann als Teenager wurde es ihnen unwichtig, ob alles noch so war, wie sie es in Erinnerung hatten, und sie gingen rasch auf ihre Zimmer, um auszupacken und sich einzurichten. Durch die Wände drang leises Protestgeschrei, wenn sie im gemeinsamen Badezimmer um ihre Territorien stritten. Damals hatte Winn die Aufgabe übernommen, sämtliche Ecken und Winkel des Hauses zu inspizieren. Er atmete Salz und den Geruch von Feuchtigkeit ein und rückte Bilderrahmen gerade. Er öffnete die leeren Schränke. Er schaute aus allen Fenstern. Er probierte die Hängematte aus. Er tappte blindlings durch die Spinnweben in der dunklen Garage.
    Diesmal fand er auf seinem Rundgang durch das Erdgeschoss überall mehr Sachen als eigentlich Platz hatten, viel mehr, doch keine der vielen Eigentümerinnen dieses femininen Allerleis kam herunter, um ihn zu begrüßen. Er holte das Gepäck und die Lebensmittel aus dem Auto. DieReisetaschen stellte er an die Hintertreppe, und auf der Arbeitsfläche in der Küche schob er die Illustrierten zusammen, um für die Einkäufe Platz zu schaffen. Die herumliegenden Make-up-Stifte und Bürstchen sahen aus wie von den fliehenden Kosmetikerinnen in Pompeji hinterlassen. Er sammelte sie ein und stellte sie in einen leeren Kaffeebecher. Die Illustrierten ordnete er zu einem Stapel. Aus dem Waschbecken fischte er einen Gegenstand, bei dem es sich, wie er von seinen Töchtern wusste, um eine Wimpernzange handelte. Oben auf dem Bücherregal tickte eine runde Schiffsuhr aus glänzendem Messing, ihre spitzen Zeiger und die römischen Ziffern standen auf sechzehn Uhr dreißig. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Noch keine eins. Er drückte zwei Finger in einen Berg aus Gesichtspuder auf dem Esstisch und ließ sie dann über die lackierte Fläche laufen, so dass sie hautfarbene Spuren hinterließen, die er anschließend mit einem Schwamm wieder wegwischte. Selbst in seinem Arbeitszimmer, seiner stillen, maskulinen Klause, entdeckte er auf dem Schreibtisch eine Nagelfeile und ein Bikinioberteil. Er hob das Oberteil an den Trägern hoch. Es war weiß mit roten Punkten, aus hauchdünnem Stoff, das Band nicht zu einer Schleife gebunden, sondern zu einem unordentlichen Knoten geschlungen. Ob wohl jüngst Agathas Brüste in den Körbchen geruht hatten, schoss es ihm durch den Kopf, doch dann lenkte ihn eine Bewegung vor dem Fenster ab. An dieser Seite des Hauses führte das Gelände sanft bergab bis an die Bäume, eine Wiese mit zwei Pinien, zwischen denen eine Hängematte hing, einem Badmintonnetz und einem grünen Netzzaun mittendrin, mit dem er seinen Gemüsegarten vor Wind und Wild geschützt hatte. Bei ihrer Ankunft im letzten Sommer waren seine Kräuter und das gesamte Gemüsebis auf den Stumpf abgefressen gewesen, und er war sofort losgefahren, um eine Rolle Kunststoffnetz zu kaufen und unordentlich um die Beete zu spannen. Der Zaun war hässlich – Livia meinte, der Garten sehe aus wie für die Entenjagd getarnt –, und trotzdem war der Ertrag enttäuschend. Durch die Bodenbeschaffenheit oder das Wetter waren die Pflanzen schwächlich geblieben, mit schlaffen Blättern und winzigen Früchten. Biddy hatte es ihm schon am Telefon gesagt, zum Kreischen von Brautjungfern im Hintergrund. »Ich fürchte, deine Ernte wird bescheiden ausfallen.«
    »Waren es wieder die Hirsche?«, hatte er gefragt.
    »Nein, aber alles scheint irgendwie zu kränkeln.«
    »Warum?«
    »Ach, Winn, ich bin keine Botanikerin«, hatte sie geseufzt.
    Livia lag in der Hängematte. Fast blau fiel der Schatten auf ihre nackten Arme und Beine. Ihr Haar hatte sie zu einem dunklen Strang gedreht und sich vorne um den Hals gelegt. Auf ihrem Bauch lag aufgeschlagen ein Buch, in seinen Seiten spielte die Brise. Sie hatte beide Hände vors Gesicht geschlagen. Das war die Bewegung, die seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte: das Lösen

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