Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
Vom Netzwerk:
das Holz frisch weiß gestrichen. Die Hortensien blühten noch nicht, aber die Pfingstrosen waren eine Pracht, mit dicken Blüten in Rosa und Weiß. Vermutlich war es seineProjektion, und er versah das Haus nur mit einer seltsamen Aura, weil er Biddy, Daphne und Livia mit allen Brautjungfern und Gott weiß was noch als vestalische Hüterinnen der Hochzeitsflamme in seinen Räumen wusste. Während er dasaß und lauschte, wie der Motor noch einen Augenblick tickte und dann verstummte, stahl sich ein Fetzen seines fast vergessenen Traumes in seine Gedanken und durchzuckte seine Ankunftsfreude. War er im Auto oder wieder in seinem Bett, oder strich er einer Frau sanft über den Rücken? Irritiert suchte Winn den Traum fortzuwischen, doch er wollte nicht weichen. Winn putzte sich die Brille mit dem Hemd und betrachtete sich im Rückspiegel. Ein tröstlicher Anblick sein Gesicht, sogar das Kinn, das jemand einst als schwach bezeichnet hatte. Er setzte seine ruhige Patriarchenmiene auf und versuchte sich einzuprägen, wie sie sich anfühlte – so wollte er die nächsten drei Tage aussehen. Dann ließ er das Gepäck im Auto und zog nur die große Schachtel mit dem Kleid aus dem Laderaum. Als er das Haus durch den Seiteneingang betrat, stolperte er beinahe über eine bombastische Fülle tropischer Blumen in einer Kristallvase, die hinter der Tür stand.
    »Biddy«, rief er in die Stille hinein, »können wir einen besseren Platz für diese Blumen finden?«
    »Oh«, kam die Stimme seiner Frau von oben. »Hallo. Nein, lass sie da stehen.«
    Er ließ die Fliegentür hinter sich zuknallen – dabei hatte er selbst vor Jahren einen inzwischen vergilbten Zettel an die Tür gehängt, auf dem stand: NICHT ZUKNALLEN! – und machte einen Bogen um die Blumen. Er legte die Schachtel mit dem Kleid ab und zog die Stirn in Falten. Vor ihm türmte sich in wildem Durcheinander ein Haufen sandigerunbekannter Schuhe. Er ordnete sie zu Paaren und baute sie in einer langen Reihe parallel zur Fußleiste auf. Am Ende der weißgetäfelten Diele leuchtete hell die Küche. Zu seiner Rechten führte die Treppe in einem steilen Bogen nach oben, und links stand ein Garderobenschrank. Darin hingen die üblichen Regenmäntel über Tennisschlägern und Strandsandalen, wie beruhigend, doch das oberste Bord enthielt neben den ausgebleichten Baseballkappen und Angelhüten lauter Geschenktüten, die von Seidenpapier und Schleifenband überquollen.
    »Biddy! Was sind das hier für Tüten im Schrank?«
    Wieder ertönte Biddys Stimme von weit oben. »Brautjungferngeschenke. Lass sie einfach da liegen, Winn.«
    »Aber lass mich erst gucken«, sagte jemand hinter ihm, noch halb von oben. »Daphne hat schon so davon geschwärmt.«
    Winn drehte sich um, er hatte nicht damit gerechnet, sie so bald zu sehen. »Hallo, Agatha!«, sagte er mit künstlicher Munterkeit.
    Agatha kam ein paar Stufen herunter und beugte sich ihm entgegen, um die dargebotene Wange zu küssen. Ihr Schlüsselbein und die dunkle Falte zwischen ihren Brüsten bewegten sich abwärts und dann wieder nach oben. Ihm stieg ein moschusartiger Duft in die Nase, schwer, beinahe männlich, vermischt mit Zigarettenrauch. Sie roch immer nach Rauch, auch wenn er sie nie auf frischer Tat ertappt hatte. Wahrscheinlich schlich sie noch immer wie ein Teenager umher, setzte sich auf Fensterbänke und ließ ihre Hand mit der Zigarette nach draußen baumeln. Winn kannte wenige Frauen, die er als Granate bezeichnet hätte, doch von den eleganten Kurven ihres Körpers bis zu dem unbefangen-raffinierten Anstrich von Schlampigkeit, den sie sich gab, warAgatha genau das. Sie lief in hauchdünnen Sachen herum, die wie Nachtwäsche wirkten, trug Kleider mit Spitzenrändern und Rissen im Saum, Hosen mit Kordelzug, die tief auf den Hüften saßen, winzige Baumwollshorts – Kleidungsstücke, die dem Anstand genügten und zugleich einen Eindruck von Nacktheit vermittelten. Die Haare türmte sie mit einem Konglomerat aus Klemmen und Gummis und Bändern zu unordentlichen Hochfrisuren auf, und immer wenn sie in ihrer Handtasche wühlte, förderte sie ein verführerisches Allerlei aus Lippenstiften, Feuerzeugen, zerknüllten Kassenzetteln und kaputtem Schmuck zutage.
    »Wie geht’s dir?«, fragte sie in ihrer trägen Art, die klang, als wäre sie gerade aufgewacht. Sie trug ein kurzes Kleid aus halbdurchsichtigen weißen Schichten, das auf ihn seltsam bräutlich wirkte. »Willkommen im Tollhaus.«
    »Prima, danke.« Winn trat

Weitere Kostenlose Bücher