Leichte Turbulenzen - Roman
Welt nicht nachdachten, sondern ihn einfach einnahmen. Doch seit ein paar Jahren waren unglaubliche Kräfte am Werk, die Ivys persönliches Glück mit aller Macht verhindern wollten und die viel stärker waren als all ihr Mühen, wieder aufs Gleis zurückzukommen.
Nathalie blickte sie irritiert an. »Welche Maschine?«
»Na, meine!«
»Nein! Warum sollte sie?«
»Weil ich drinsitze.«
»Wie kommst du denn auf den Quatsch?« Nathalie sah hinüber zur Schlange der Fluggäste, die durch die Sicherheitskontrolle mussten. »Sag mal, hat sich Mister Fortier eigentlich inzwischen von seiner Frau scheiden lassen? Hattest du nicht so etwas erzählt?«
Ivy hob die Hand. »Keine Ahnung. Interessiert mich auch gar nicht.«
»Wieso denn nicht? Der verdient doch bestimmt nicht schlecht als Tussauds-Manager. Ich meine, ihr arbeitet doch im selben Gebäude, oder nicht?«
»Mach’s gut, Natti. Und guck, dass Lucy nächstes Mal nicht mit im Raum ist, wenn ihr über mich redet.«
Die Schwestern umarmten sich, dann reihte sich Ivy in die Schlange der Wartenden ein, die sich ihre Mäntel und Gürtel auszogen und in die grauen Plastikschalen auf dem Fließband legten. Dabei machten sie möglichst harmlose Gesichter, als hätten sie definitiv etwas zu verbergen. Warum mussten die Leute in Ivys Umgebung ständig von irgendwelchen Männern reden, die für sie nicht in Frage kamen? Fortier! Das war doch lächerlich! Auf einen erneuten Beziehungsreinfall konnte sie gut verzichten. Schließlich hatte sie ganze drei Jahre gebraucht, um sich einigermaßen von ihrem letzten Beziehung-Revival mit Javis zu erholen. Wobei, wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie sich bis heute nicht davon erholt. Wäre Javis hier zufällig vorbei gekommen, hätte sie ihm ihre Reisetasche mit Wucht in die Kniekehlen gehauen.
Nathalie winkte verspannt lächelnd. »Na dann, guten Flug. Holt Willem dich wenigstens in Heathrow ab?«
Ivy tippte sich an die Stirn. »Wieso sollte er?«
Die Leute hinter ihr in der Reihe drängten sie weiter nach vorne. Nun war nur noch Nathalies Kopf hinter den Schultern der Mitreisenden zu sehen. »Na ja, ich dachte, ihr seid Freunde. Ich finde ihn ja nicht verkehrt. Er hat dieses Sinnliche …«
Ivy drehte sich einfach um und stellte ihre Reisetasche aufs Band. Willem, ihr Kollege, war nicht sinnlich, sondern übergewichtig. Sie kannten sich seit dem ersten Trimester ihres Kunststudiums an der St. Martins und hatten zusammen in einer Wohngemeinschaft gelebt, bis Ivy sich in diesen destruktiven, total besessenen, kettenrauchenden Schauspielstudenten Javis verliebt hatte, der sogar nachts aufgestanden war, nur um weiterzurauchen oder stümperhaft auf seiner Gitarre »Songs zu improvisieren«. Kein Mensch wusste, was er den lieben langen Tag getrieben hatte. Noch jetzt kam Ivy nicht von dem Verdacht los, dass er, statt die Theaterproben zu besuchen, die Vormittage bei einem Mädchen namens Larissa verbracht hatte. Ivy zog ihren Mantel aus. Von hinten hörte sie ihre Schwester rufen: »Und iss mal ein bisschen mehr.« Nathalie fand, dass ihre Schwester sich ein paar weibliche Rundungen zulegen sollte, um ihrer Umgebung Lebensfreude zu signalisieren. Oder Fruchtbarkeit. Irgendwie so etwas. Sie fand, dass Ivy mal über ihre vernachlässigte Attraktivität nachdenken sollte. So wie sie herumlief, würde sie keinen Mann langfristig an sich binden können. Der musste ja das Gefühl haben, dass er Ivy total egal war. Irgendwie war ihr das Feuer verloren gegangen, sich jemandem unerschrocken und mutig mit Haut und Haaren hinzugeben. Kein Wunder, dass Javis sie am Ende betrogen hatte. Im Grunde genommen war es unfassbar, dass Ivy die Tochter ihrer schillernden Mutter war. Sie sah zum Weglaufen aus. Wie sollte da ein Mann Lust bekommen? Sie sah aus wie ein Opfer.
Zwanzig Minuten später setzte sich Ivy auf ihren Gangplatz. Direkt auf den gekreuzten Sicherheitsgurt, den sie nun mühsam wieder unter ihrem Po hervorzerrte. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn sie nicht an einem Herzschlag draufginge, bevor sie abstürzte. Ihre Sandalen würde irgendein Förster im Morgengrauen auf einem gepflügten Feld finden. Vermutlich erst am nächsten Dienstag, neben ihren Haaren, die ihr büschelweise vom Kopf weggeplatzt wären. Ivy zog ihren Mantel fester um sich. Auf dem Fensterplatz saß ein Mann. War das ein Typ, der mit dem Flugzeug abstürzte? Interessiert blickte er hinaus auf den nebligen, von Flutlichtern erhellten Flugplatz, sodass Ivy nur
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