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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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bezüglich ihrer Reisepläne offensichtlich belogen hatte. Aber nur ein paar Wochen zuvor hatte sie noch versucht, mich mit allen Mitteln dazu zu bringen, sie zu schwängern und eine richtige Familie mit mir zu gründen. Frauen, die ihre Männer betrügen oder sich wenigstens nach Alternativen umschauen, tun das vermutlich eher nicht. Beinahe zweihundert Kurznachrichten sprachen ebenfalls eine andere Sprache, als ich zu verstehen meinte. Aber – welche?
    »Es gibt keine andere Erklärung für ihr Verhalten«, nuschelte ich am Kartoffelmatsch vorbei. »Jedenfalls keine vernünftige.«
    »Hey, wir reden über Frauen «, warf Simon ein. »Viele sind fraglos vernünftig, aber für die meisten ist das zweifelsohne nicht die oberste Handlungsdirektive.« Dann warf er das Besteck auf den halb leergegessenen Teller »Schnitzel nach Art des Hauses«, das optisch Henners Gericht glich, stand auf und zündete sich noch im Gehen eine Fluppe an, was die seltsame Kellnerin, die sich hinter dem Tresen langweilte, mit einem missmutigen Räuspern zur Kenntnis nahm.
    Ich sah ihm nach und staunte wieder. Wie leicht man sich doch in die Irre führen lassen kann. Hätte mir jemand vor vierzehn Tagen erklärt, Simon würde solche Sätze wie während der vergangenen zehn Minuten von sich geben, hätte ich demjenigen per Google Maps die Route zur nächsten Therapiegruppe rausgesucht. Und vermutlich war sogar sein derzeitiges Verhalten noch Understatement pur – wer den »Mauler« aus Brechts »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« frei zitieren konnte, trug wahrscheinlich eine noch größere mentale Dosis mit sich herum.
    »Da hat er nicht unrecht«, sagte Henner, der Simon ebenfalls stirnrunzelnd hinterhersah. »In diesem Fall bin ich sogar sicher , dass es stimmt.« Er blickte mich an. »Du suchst eine logische Lösung, aber der Suchansatz ist verkehrt.« Die Stirn blieb in Falten. »Wenigstens teilweise.«
    »Und das bedeutet was ?«
    Er widmete sich wieder seinem Jägerschnitzel, graubraunes Wellfleisch, das sich in fettiger, graubrauner Tunke suhlte. Ich beobachtete ihn, während er vorzutäuschen versuchte, sich ganz dem lukullischen Erlebnis hinzugeben.
    »Du weißt irgendwas«, mutmaßte ich relativ spontan.
    Henner sah auf und nickte dabei langsam, kaute langsam, schluckte betont langsam. »Stimmt«, sagte er schließlich. »Aber ich kann dir unmöglich verraten, was ich weiß. Das würde quasi mein persönliches Maß übervoll machen. Tut mir leid.« Er blickte zu Mark und nickte in Richtung Wand. »Hast du das Tierchen neben dir noch nicht bemerkt?«
    Die Tusse wurde von ganzen Heerscharen von Spinnen bevölkert, allein aus meiner Kabine hatte ich gute drei Dutzend entfernt. Unmöglich, dass Mark seit unserer Nachtfahrt am ersten? zweiten? Abend keiner weiteren Angehörigen der Gattung Arachnida begegnet war. Er schob sich ein Stück zur Seite und sah dann zur Wand. Kurz war er leicht schockiert, dann nahm er seine ursprüngliche Position wieder ein undlächelte schmal. »Das ist die dreißigste oder vierzigste seit Fahrtantritt«, sagte er. »Ich glaube, ich habe mir meine Phobie einfach abgewöhnt. Wegen der Übermacht. Sie tun einem nichts. Feinkörnig.«
    »Jetzt musst du dir nur noch diese andere Sache abgewöhnen«, sagte Henner, schob den Teller von sich und betrachtete ihn mit einem ähnlichen Blick wie Sekundenbruchteile zuvor Mark die Spinne: leicht angewidert, aber versöhnlich. Mark drehte sich zur Spinne und schwieg.

    Es war kurz vor halb zehn, als wir zum Boot zurückkehrten. Der Steg war feucht, wir hatten also einen weiteren Regenschauer verpasst, aber der Sonnenuntergangshimmel leuchtete in spektakulären Rottönen. Walter und Sofie hatten ihre Klappstühle von Bord geschafft und saßen neben der Tusse , Pikkolöchen schlürfend.
    »Wir haben noch so viel zum Saufen an Bord«, sagte Mark. »Wir sollten eine Spontanparty schmeißen. Hier, auf dem Steg.«
    »Aber ohne Viagra«, bat Henner grinsend.
    Also räumten auch wir unser Inventar auf die Stegbretter, dazu die Bierkisten, die Ouzoflasche und allen möglichen anderen verzehrbaren Krempel. Simon nahm die Stereoanlage in Betrieb, dieses Mal ohne nackte Friseusen, sondern mit überraschend gepflegtem Indiepop – ach, Simon konnte mich inzwischen nicht mehr überraschen, er hätte sich auch hinstellen und eine verdammte Arie schmettern können. Finn-Lukas kam im Schlafanzug aus seiner Koje gekrochen, ignorierte Walters gegenläufige Bitten und setzte sich

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