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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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zufriedenes Lächeln. Mark hatte den Kopf in den Nacken gelegt und trank mit offenem Mund das Regenwasser, Henner wischte sichzwar gelegentlich übers Gesicht, lächelte aber ebenfalls. Das Gefühl in mir ließ sich schwer beschreiben – es war reinigend und einend, als würde uns der Große Wettermacher mit dieser klimatischen Geste Absolution erteilen. Der Spuk dauerte ganze zehn Minuten, dann rissen die Wolken schlagartig auf, teilten sich direkt über der Stelle, an der wir saßen, jedenfalls schien es so. Ebenso schlagartig fiel uns auf, dass wir vergessen hatten, das Bootsdach zu schließen. Aber keiner machte Anstalten, nach möglichen Schäden zu sehen – diese Stufe hatten wir längst hinter uns gelassen. Ich stand auf und watete in den See, umschwamm das lädierte Boot, tauchte durch das aufgewühlte Uferwasser und fühlte eine lässige Freiheit, die mit nichts vergleichbar war. Dieser Zustand auf ewig – ich hätte nicht weniger als alles dafür gegeben.

    Als wir ablegten, ging es auf vier zu. Regenschäden im Bootsinneren gab es keine, von ein paar durchweichten Lebensmittelverpackungen und einer ruinierten Stange Zigaretten abgesehen. Die Bilgepumpe summte im Heck.
    »Bis zur Müritz werden wir es heute nicht mehr schaffen«, sagte Henner.
    »Warum nicht?«, fragte Mark. »Die Schleusen schließen um acht, das sind noch sechs Stunden.«
    »Es sind nach wie vor fast fünfundzwanzig Kilometer«, wandte ich ein. »Und drei Schleusen.«
    »Volle Kraft voraus«, nuschelte Simon an seiner Zigarette vorbei und drückte den Hebel nach vorne.
    Schweigend und fassungslos nahmen wir die Landschaft um uns herum zur Kenntnis, Henner und Mark am Bug, ich zunächst auf der Heckterrasse, Simon am Steuer, der uns mit Warp 7 in Richtung Schleuse Canow steuerte. Nach einer Weile gesellte ich mich zu ihm; der Zeiger des Drehzahlmessers zitterte am oberen Ende der Skala, aber auch die Kühlwassertemperaturanzeige gab sich redlich Mühe, es ihm gleichzutun.Als ich Simon darauf ansprach, grinste er und sagte dann: »Das ist äußerst robuste Technik, keine Sorge.«
    An der Schleuse erwartete uns eine böse Überraschung – weit vor der Wartestelle und erst recht von der Einfahrt entfernt torkelten gut dreißig Boote im freien Wasser umher, zumeist ohne Bugstrahlruder mühsam Position haltend, darunter ein Schwesterschiff der Tusse , das mir bekannt vorkam. Bis wir die Schleuse sahen, verging eine weitere Stunde, und als wir das Nadelöhr passiert hatten, hing der kleine Uhrzeiger kurz vor der Sechs. Während Henner den Pott unter der Brücke hinter der Schleuse hindurchsteuerte, saß ich bei Simme am Bug. Das bewaldete Ufer der Mündung glitt an uns vorbei, dann waren wir auf dem Labussee, dessen Wasser im spätnachmittäglichen Sonnenlicht glitzerte. Henner steuerte nach links, gab ruckartig Vollgas und setzte uns kurze Zeit später vor die Hausbootarmada, die vor uns die Schleuse verlassen hatte. Schräg hinter uns lag eine Ferienhausanlage, ansonsten war das Seeufer unbebaut.
    »Du hast nicht ganz richtig gelegen mit dem, was du gestern gesagt hast«, sagte ich nach zwei, drei Minuten.
    »Ich habe gestern eine ganze Menge gesagt.« Simon ließ eine Kippe in die Bierflasche fallen, die er hielt, und zog sofort eine neue aus der Tasche seines Paradiesvogel-Hawaiihemds.
    »Du weißt schon. Das mit der besonderen Situation. Mit der Auszeit von mir selbst. Das ist Quatsch.«
    »Quatsch«, wiederholte er und musterte mich dabei mit einem leicht ironischen Gesichtsausdruck.
    »Ja. Wenn man ein funktionierendes Gewissen hat, geht das nicht. Und ich kann nicht einfach ab übermorgen so tun, als hätte es diese zehn Tage nicht gegeben. Das mag dir gelingen, mir aber nicht.«
    »Verstehe.«
    » Es gibt kein richtiges Leben im falschen , hat Adorno gesagt.«
    Simon blies Rauch aus und legte den Kopf in den Nacken. »Kenne ich nicht.«
    »Theodor W. Adorno. Ein Philosoph.«
    »Und was hat er damit gemeint?«
    »Dass man es sich nicht im Unrecht bequem machen kann. Ist vielleicht etwas überzogen im Hinblick auf unsere Situation, aber wenn es einen gewissen moralischen Anspruch gibt, sollte der umfassend sein – und nicht vor der eigenen Haustür aufhören.«
    »Großer Gott! Solche Gedanken machst du dir im Urlaub?«
    Ich zog ihm eine Zigarette aus der Hemdtasche, nahm einen Zug und einen Schluck Bier.
    »Ja, mache ich. Unentwegt.« Das stimmte nicht ganz, aber – geschenkt. »Ich meine, du hast mir quasi nahegelegt, mit Anna zu

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