Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
nachdem er unsere Getränkebestellung um eine Runde Küstennebel ergänzt hatte. »Morgen um diese Zeit werden wir im Heimathafen liegen, und dann ist es auch schon wieder vorbei.«
    »Schade«, sagte Mark und dann, natürlich: »Feinkörnig.«
    Wir studierten die Speisekarte, während wir wahrscheinlich alle dasselbe dachten. Übermorgen, das wäre nicht nur der Tag, an dem wir das lädierte Boot irgendwie zurückgeben und anschließend in Henners Discovery heimwärts bockeln würden, sondern auch jener, ab dem wir in die Realität heimkehren und uns den Problemen stellen müssten, die jeder Einzelne von uns für sich und – seit der denkwürdigen Bürgschaftserklärung Armend gegenüber – wir alle gemeinsam für Simon buckelten.
    »Wie viele Pflegekinder habt ihr eigentlich, du und … äh … Consu dings ?«, fragte Simon.
    »Consuela.« – Konnswehla – »Fünf«, antwortete Henner. »Bisher«, setzte er hinzu. »Gut möglich, dass es demnächst mehr sind.«
    »Feinkörnig«, sagte Mark und fixierte dabei die Toilettentür. Die ziemlich prächtige Landspinne, die direkt hinter ihm die raufasertapezierte Wand hochkrabbelte, sah er nicht.
    »Keine kleine Verantwortung«, sagte Simme.
    »Vor allem keine, deren man sich einfach so entledigen kann«, gab der Pfarrer zurück. »Was ich auch nicht vorhabe.«
    »Sondern was?«
    »Ehrlich – ich weiß es nicht. Das Jägerschnitzel ist für mich.«
    Wir beobachteten, wie die geschlechtslose und etwas despektierlich gekleidete Kellnerin das – wie immer »gutbürgerliche« – Essen verteilte. Mark lehnte sich zurück, sein Haar berührte die Tapete nur wenige Zentimeter von der Spinne entfernt, die soeben eine Wanderpause einlegte.
    »Was würdest du tun?«, fragte Henner nach dem ersten Bissen, an Simon gerichtet.
    »Meinst du, was ich als Simon tun würde? Der Simon, der seine Zähne verfaulen lässt und kleine Renovierungskunden bescheißt? Oder meinst du, was ich täte, wenn ich zu urteilen hätte?«
    »Beides?«
    »Gut, dann zwei Antworten. Die eine lautet: Augen zu und durch. Das hat ja bisher auch geklappt. Die zweite: Man glaubt oft, dass andere mit fundamentalen Entscheidungen überfordert wären, und man meint zugleich, sie irgendwie zu schützen, indem man den Status quo über die Zeit zu retten versucht. Aber das ist Unsinn. Vielleicht stürzt man sie in Krisen, aber nur vorübergehend, denn sie ahnen sowieso, dass etwas im Busch ist, und Krisen, die keine Katastrophen sind, überleben wir alle, häufig sogar gestärkt. Möglicherweise wollen sie es nicht wahrhaben, doch über die notwendigen Antennen verfügt jeder, auch der Dümmste. Deine Consudings ahnt wahrscheinlich längst, wo die Kröte unkt.«
    »Wo die Kröte unkt«, wiederholte Mark. Die Spinne ließ die Vorderbeine in der Luft tanzen, als würde sie nach ihm tasten.
    »Aber sie ist auf mich angewiesen, und die Kinder sind es auch.«
    »Kann schon sein, vielleicht unterschätzt du aber deine Nochfrau auch. Und die einzige Alternative zum derzeitigen Stand ist ja auch nicht die, Consudings und die Kids in den Wind zu schießen, also Sozialhilfe und Jugendamt zu überlassen. Du kannst für sie da sein, ohne so zu tun, als wärst du ein liebender Ehemann oder ein gottesfürchtiger Pfaffe.«
    »Mmh«, gab Henner zurück, wobei er mich ansah. »Und du?«
    Ich tat nicht nur überrascht, ich war es auch – so überrascht, dass ich für einen Moment vergaß, mich über die verbrannte und seltsamerweise nach Essig schmeckende Riesencurrywurst zu ärgern.
    »Und ich ?«
    Henner grinste freundlich. »Ja, du.«
    »Ich habe nicht das Gefühl, derzeit nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der Dinge zu haben«, sagte ich.»Meine Freundin ist im Allgäu und verlustiert sich dort wahrscheinlich mit ihrem Bassisten.«
    »Nimmst du an.«
    »Es spricht mehr dafür als dagegen.«
    »Es gab auch mal eine Zeit, in der viel für die Idee sprach, ein Gott hätte die Welt erschaffen. Dann veränderte sich nach und nach die Faktenlage. Hätte man sie vorher gekannt, wäre die Idee vielleicht nie entstanden.«
    »Die Faktenlage ist in meinem Fall unverändert.«
    »Weil du dich dem verweigert hast.«
    Ich zog eine Augenbraue hoch und tauchte ein Stück frittierte Kartoffel in das, was hier Mayonnaise genannt wurde. Kauend dachte ich darüber nach, wie sich die aktuelle Faktenlage darstellte. Dass ich von Cora betrogen wurde, war eine Schlussfolgerung aus dem Gespräch mit Rosa. Und aus der Tatsache, dass mich Cora

Weitere Kostenlose Bücher