Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
kurz. »Sieben, möglicherweise acht. Mehr würde mir wirklich wehtun.«
    »Das sind dreiunddreißig.« Simon wagte es nicht, uns bei diesen Worten anzusehen. »Aber es wird eine Weile dauern, bis ich euch das zurückzahlen kann.«
    »Definiere eine Weile «, sagte ich, schüttelte aber sofort den Kopf, als mich der Handwerker und zukünftige Hafenmeisterinnenlebenspartner betreten ansah.
    »Ich kann die fünfunddreißig rund machen«, sagte Mark, der bis dahin geschwiegen hatte. »Mehr ist nicht drin.«
    Simon traten Tränen in die Augen. Er stand auf, zündete sich währenddessen eine Zigarette an und kletterte von der Terrasse. Sein Oberkörper bebte.
    »Vielleicht genügt das, um den Albaner zu beruhigen«, murmelte Henner.
    »Vielleicht«, wiederholte Mark, und es war seine erste Wiederholung, die auch etwas aussagte.

    Das Restaurant schloss um halb zwölf, aber Karola schleppte ein paar Kisten Bier auf die Terrasse. Wir tranken schweigend, sahen in die Sterne und bemerkten erst nach einer Weile, dass es nach den kurzen, aber heftigen Böen am frühen Abend inzwischen deutlich kühler geworden war. Nacheinander holten wir Jacken und Fleecepullis. Ein paar Leute gesellten sich zu uns, irgendwann kamen Gespräche in Gang, aber ich lauschte nur, sog die frische, würzig duftende Luft ein und umschwamm metaphorisch den Melancholiestrudel. Die Stunden rannen dahin, Stunden, die uns von der Schiffsrückgabe und der Heimkehr trennten, von Cora und dem Käfer , vom Adoptiveltern-Reihenhaus in Britz, von Konnswehla , Pflegekindern und der ungeliebten Kirche, aber auch von jenem Moment, in dem wir uns die Hände reichen, uns möglicherweise umarmen würden und mit je drei neuen Freunden ausgestattet wären. Ich sah die Leichtmatrosen an, den überhaupt nicht mehr so tumben Henner, den strukturfreien, aber auf seine Art liebenswerten Mark, und Simon, das kompakte Chaos mit Einstein’schen Qualitäten. Wie merkwürdig! Jede Wette, vor zehn Tagen abgeschlossen, hätte ich heute verloren, und es gab wenig, das sich je besser angefühlt hatte.
    Gegen drei beschlossen wir, einfach durchzumachen. Simon und Karola tanzten wieder zu Musik, zu der tanzen eigentlich unmöglich war, während ich Henner zuhörte, manchmal mit mir sprechend, meistens aber vor sich hin murmelnd, wobei er Optionen prüfte. Ungefähr in diesem Moment erfasste mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl, kam endlich bei mir an, was die Konsequenz dessen wäre, was mir heute passiert war. Cora würde bei mir bleiben. Wirwürden eine Familie gründen, was auch immer das bedeutete, aber es bedeutete in jedem Fall, dass ich damit aufhören würde, mir einzureden, das Leben ließe sich an jedem Morgen neu erfinden.

    Die aufgehende Sonne tupfte weißgelbes Licht an den Horizont, es war zwar windstill, aber die Temperatur war inzwischen bei bestenfalls noch zehn, elf Grad angelangt. Simon und Karola schmusten an Bord der Tusse , Henner war vor einer halben oder ganzen Stunde zu einem Spaziergang aufgebrochen, Mark schlief, schräg auf seinem Klappstuhl hängend. Ich ging an Bord, kochte Kaffee, setzte mich mit einem Becher in der Hand aufs Deck und sah der Sonne zu. Der Himmel färbte sich graublau, der Ellbogensee lag glatt wie eine Eisfläche. Kein Lüftchen ging, aber über dem Wasser kräuselten sich erste Nebelfetzen. Es war kalt. Es blieb kalt. Um halb sechs klopfte ich an Simons Kabinentür, hörte unaufgeregtes Gepolter. Henner kam, goss sich einen Kaffee ein und legte sich auf die Bank im Salon. Mark folgte ihm kurz danach, rieb sich die Augen und nahm sich ebenfalls Kaffee. Simon und Karola krabbelten aus der Kabine, verabschiedeten sich voneinander. Wir lösten die Leinen, setzten Kurs auf Fürstenberg und kamen uns wahrscheinlich allesamt wie Pioniere auf dem Weg in eine unbekannte Welt vor. Zumal der Nebel sekündlich dichter wurde, als wolle jemand um jeden Preis verhindern, dass wir pünktlich die Basis erreichten.

Tag 10:
Slippen
    Slippen – Wasserfahrzeuge
mit Hilfe eines Bootstrailers
oder Slipwagens zu Wasser lassen
oder aus dem Wasser holen.

Nach etwa vier Kilometern, als wir an der Engstelle ankamen, die vom Ellbogensee in den Ziernsee führte, hatte die Suppe etwa die obere Relingkante erreicht. Es war nicht so, dass wir nichts mehr sehen konnten oder gar unfähig waren, zu navigieren, doch die Tusse schwamm praktisch durch den Nebel, als hätte sie zwei statt nur einen Meter Tiefgang. Der Dunst dünnte aber oberhalb der Aufbauten

Weitere Kostenlose Bücher