Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
vermutlich weil wir ihn auf die Art anlächelten, wie Pfleger das mit Psychiatriepatienten tun. »Sie haben … Sie haben … unser Wasser verunreinigt.«
    »Verunreinigt«, wiederholte Mark.
    »Ja. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit.«
    »Und wer behauptet das?«, fragte Simon. Unsere Boote schwammen unmittelbar voreinander, quietschend berührten sich die Gummipuffer. Wie zwei Boxer, die im Ring die Stirnen aneinanderpressen, wobei sie sich schwitzend, keuchend und mit blutunterlaufenen Augen niederzustarren versuchen.
    »Dieser Zettel«, sagte nun die Frau, die eine etwas piepsige Stimme hatte. »Der war doch von Ihnen.«
    »Wir rufen die Polizei«, meinte der Mann, zwar leiser und an seine Gattin gerichtet, aber für uns gut hörbar.
    »Schon wieder«, murmelte Simon grinsend.
    »Wir haben gute Connections zur örtlichen Polizei«, erklärte Mark. In gewisser Weise stimmte das sogar.
    »Um was genau zu erreichen?«, fragte Simon nun, an denMann gewandt, zündete sich eine Zigarette an, betrachtete kurz die leere Schachtel, zerknüllte sie und warf sie dann auf das andere Boot, was ich als unangebracht rüpelhaft empfand. Der adrette Kapitän machte einen überraschten Schritt beiseite, als hätte Simon eine tote Ratte hinübergeworfen.
    »Sie haben unser Boot losgemacht«, sagte ich möglichst freundlich.
    »Haben wir nicht «, piepste die Frau.
    »In diesem Fall«, sagte Simon langsam, »haben wir auch nicht in Ihren Frischwassertank gepinkelt.«
    Die beiden blickten redlich konsterniert. Ich dachte an Schrödingers Katze.
    »Also. Haben Sie oder haben Sie nicht?«, fragte sie.
    »Haben Sie oder haben Sie nicht?«, fragte Simon zurück.
    »Haben wir nicht«, beharrte die Frau, aber deutlich kleinlauter. Die Kinder kicherten. Sie wussten ja, was tatsächlich geschehen war. Und ihre endfeinen Eltern logen gerade in aller Öffentlichkeit.
    »Dann ist ja alles klar«, meinte Mark und drehte sich zu Henner, der am Steuer stand. »Volle Kraft voraus.«
    »Aber, Moment mal! Wir müssen jetzt den Tank abpumpen lassen. Wie stellen Sie sich das vor?«
    »Auf jeden Fall lustig«, sagte ich, dann gab Henner Vollgas. Mit nur einer Handbreit Abstand schipperten wir an den hübschen Menschen vorbei, die wahrscheinlich demnächst irgendwo anlegen und ihren Wassertank leerpumpen lassen würden. Fast fünfzehnhundert Liter, und das vielleicht zweimal, schließlich musste der virtuelle Urin ja gründlich weggespült werden.

    »Fünfundvierzig Kilometer. Bei einem Schnitt von 7 km/h und ohne Berücksichtigung der Schleusenzeiten sind das sechseinhalb Stunden.« Henner sah von der Karte auf und zur Armbanduhr. »Halb eins. Kaum zu schaffen. Und es sindfünf Schleusen, die uns mindestens eine weitere Stunde kosten. Wenn wir irres Glück haben und nichts los ist.«
    »Lassen wir den Topf fliegen«, sagte Simon.
    Was wir auch taten – Mecklenburgische Seenplatte im Schnelldurchlauf. Statt der vorgeschriebenen Geschwindigkeit fuhren wir mit über 10 km/h durch die Müritz-Havel-Wasserstraße, Simon am Steuerstand, der eine wild winkende Bootsbesatzung nach der anderen überholte, die restlichen drei Männer in den Kabinen, um die Sachen zu packen. Ich fühlte mich dabei ein bisschen wie beim Abspann von American Graffiti , der in mir immer den Wunsch ausgelöst hatte, auf Anfang zurückzustellen und gleich wieder in die beschaulich-dramatische Post-Kindheits-Welt von Steve, Milner, Laurie, Froschauge, den Pharaohs und, natürlich, Curt einzutauchen. Noch während ich das dachte, wurde mir bewusst, dass der Film und seine ganz persönliche Botschaft an mich während der vergangenen neun Tage ihre Unschuld verloren hatten. Vielleicht würde ich ihn mir abermals anschauen, irgendwann, möglicherweise sogar mit Cora und dem Käfer , aber Curt sagt seiner Traumblondine am Ende, als sie ihn auf dem Parkplatz anruft, dass es nicht, wie sie vorschlägt, möglich sei, ihn beim Cruising wiederzutreffen, weil er eine andere Entscheidung getroffen habe. Und genau das hatte ich am heutigen Tag auch getan, eine Entscheidung getroffen. Das Cruising war vorbei. Ein merkwürdiges Gefühl. Irgendwie erfrischend. Auf beängstigende Weise.

    Hinter Mirow – nur zwanzig Minuten Wartezeit an der Schleuse – nahm Simon seine Telefonphalanx in Betrieb, die sofort ein etwa fünfzehnminütiges Nachrichteneingangsgepiepe startete.
    »Du hast also Wort gehalten«, sagte ich erstaunt in das polyphone SMS-Orchester.
    »Manchmal tue sogar ich

Weitere Kostenlose Bücher