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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Kern der Angelegenheit abgelenkt. Cora war schwanger. Schwanger . So richtig und in echt: In fünf, sechs Monaten würde sie das blut- und schleimverschmierte Ergebnis unserer Chromosomenverschmelzung der staunenden Welt präsentieren, einen kleinen Patrick oder eine kleine Cora, und diese staunende Welt wäre danach völlig anders.Kein Stein mehr auf dem anderen. Ich wurde Vater. Ende mit Patrick, Anfang mit Papa. Auch wieder so eine Alliteration.
    Heiliges Kanonenrohr. Oder, um es mit Mark zu sagen: Feinkörnig.
    »Es tut mir leid, dich so überrascht zu haben. Aber es musste einfach sein.«
    Ich warf Henner nur einen kurzen Blick zu und sah wieder auf das Wasser. Links von uns verschwanden die Häuser eines kleinen Dorfes hinter den Bäumen, der Flusslauf knickte leicht nach rechts ab, wir überholten soeben eine Armada dunkelroter Kanus, aber natürlich befand sich in keinem davon Anna, die ohnehin längst auf dem Heimweg war. Was keinerlei Gefühle in mir auslöste. Mein Fokus war um hundertachtzig Grad geschwenkt. Vorläufig? Vorübergehend? Endgültig? Das hätte ich gerne gewusst.
    »Ich müsste eigentlich sauer auf dich sein«, sagte ich nach einer Weile. »Tendenziell bin ich allerdings eher dankbar. Auf diese Weise verlief es wahrscheinlich sanfter und harmonischer, als es an Land abgelaufen wäre.«
    »Glückwunsch«, sagte er vieldeutig.
    » Du weißt, was es bedeutet, Vater zu sein. Ich kenne das bisher nur in der passiven Variante.«
    »Und du hast immer noch keine Ahnung, ob du das wirklich willst.«
    Ich nickte.
    »Das weiß man auch erst danach . Man kann es nicht antizipieren, so wie man auch nicht wissen kann, wie es ist, äh, keine Ahnung, tot zu sein.« Er hob die Hände ob des unglücklichen Vergleichs. »Ein Kind ist … alles. Chaos, Rührung, Herzlichkeit, Angst, Panik, Erschöpfung und endlose Glückseligkeit. Täglich was Neues, jahrelang.«
    Das ziemlich endgültige Wörtchen jahrelang verursachte eine Gänsehaut bei mir. »Man kann nur leider nicht ausprobieren,wie sich das im konkreten Fall darstellt«, murmelte ich.
    »So ist es. Völlig unmöglich.«
    »Ob sie schon etwas spürt?«
    »Darauf kannst du Gift nehmen. Trinken wir ein Bier?«
    Ich nickte wieder. »Mindestens.«

    Wir warfen einen Blick auf die Müritz und waren rechtschaffen begeistert. Vor uns lag ein Meer ; der gewaltige Tümpel verlor sich am Horizont im Nichts und ging direkt in den knallblauen Himmel über. Zugleich vermittelte der Ausblick etwas Melancholisches. Diese enorme Weite stand in krassem Kontrast zur pittoresken Behaglichkeit der kleinen Seen und Kanäle, die wir bisher befahren hatten. Erstmals kam mir unser Schiff ziemlich klein vor. Und ich mir selbst auch. Außerdem markierte dieser Moment, dass unsere Reise definitiv ihrem Ende entgegenging – ab hier wäre alles nur noch Rückfahrt . Ich fand das schade, spürte, dass ich ab morgen etwas sehr vermissen würde. Ein Blick in die Gesichter der anderen verriet, dass es ihnen offenbar ähnlich ging, vielleicht von Mark abgesehen, der etwas anderes noch sehr viel mehr vermisste.
    »Hübsch«, sagte Simon.
    Mark nickte stumm. Henner kämpfte mit der Karte.
    »Hier sind mächtig viele Untiefen und unreiner Grund. Wir müssten Schwimmwesten anlegen. Und uns bei der Basis melden.« Er verzog das Gesicht.
    »Es ist sowieso zu spät«, sagte ich. »Wenn wir es zurück nach Fürstenberg schaffen wollen, müssen wir mächtig ranklotzen.«
    »Wir haben sie gesehen«, sagte Simme und rauchte eine Fluppe auf die Müritz.
    »Ja, das haben wir«, sagte Henner, offenbar erleichtert, dann stießen wir feierlich auf den Teich an und wendeten das Boot. Damit zeigte unser Bug praktisch direkt auf denjenigendes Schöne-Familie-Schwesterschiffs, das soeben in den See einfuhr, keine dreißig Meter von uns entfernt. Die Folie vom Fenster hatten sie entfernt.
    »Ahoi!«, rief Mark, wieder deutlich entspannter als noch am frühen Morgen. Dann stellte er sich an die Reling, ließ die Badehose runter und pisste demonstrativ ins Wasser.
    Der Mann – natürlich stand der Mann am Steuer – hielt auf uns zu und stoppte kurz vor einer Kollision ziemlich gekonnt auf.
    »Sie!«, sagte er laut, während er zum Bug kletterte. »Sie!«
    »Ahoi«, sagte Mark abermals.
    Die Frau trat hinzu, Kinder versammelten sich auf dem Vorschiff, neugierig zu uns herüberlinsend; immerhin hatte Mark sein Gemächt inzwischen wieder verstaut.
    »Sie«, wiederholte er, aber schon etwas weniger energisch,

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