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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Blicke auf uns gerichtet, und feixten überwiegend, während einige wenige – zumeist Frauen – eine Hoffentlich-passiert-uns-das-niemals-Mimik an den Tag legten. Der Vogelzeiger, der schräg links vor uns lag, zeigte uns selbstverständlich weiterhin ganze Vogelschwärme. Auf einer kleinen Jacht standen ein paar Jugendliche und prosteten uns lachend zu. Ich winkte.
    »Einfach an der Stange vorbeiführen und halten. Nirgendwo rumwickeln. Nicht festmachen «, sagte der Schleusenwärter. Henner nickte.
    Fünf Minuten später und ohne weitere Havarien steuerte ich den Kahn äußerst langsam aus der Schleuse. Die Boote, die vorher hinter uns gewesen waren, überholten uns, von einem aus wurden wir frenetisch bejubelt. Rechts neben derSchleusenanlage konnte ich das Stauwehr ausmachen, das vermutlich für die Strömung verantwortlich war, die unser Boot vorhin quer gelegt hatte.
    »Das war lustig«, befand Mark, der sich eine weitere Flasche Bier nahm und mir eine anbot.
    »Irgendwie schon«, sagte ich und nahm das Bier. Henner saß auf dem Vorschiff, mit leicht gebeugtem Rücken, der zu uns wies. Gut möglich, dass er weinte.
    »Nur unser Kapitän wird da wohl anders denken«, sagte Mark, auch zu unserem dritten Mann blickend.
    »Na ja. Noch einmal wird uns das jedenfalls nicht passieren.«
    »Wir werden sehen.« Mark grinste.
    In diesem Moment hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass diese Sache durchaus Spaß machen könnte. Ich fühlte mich nicht wirklich wohl, verspürte eher eine diffuse, unangenehme Einsamkeit, die einen überkommt, wenn man unter Leuten ist, von denen man wenig weiß, mit denen man aber dennoch etwas sehr Intimes zu teilen genötigt ist.

    Wir passierten die voll besetzte Wartestelle für die andere Richtung, durchfuhren eine gezogene Linkskurve und befanden uns kurz darauf wieder im naturüberfüllten Nichts – die anderen Schiffe waren längst auf und davon. Am rechten Ufer tauchte ein ziemlich großer, weißgrauer Vogel auf, der völlig bewegungslos auf einem Bein stand. So bewegungslos, dass ich ihn zunächst für eine Attrappe hielt. Just, als wir ihn passierten, senkte er das andere Bein in Zeitlupe ab.
    »Ein Reiher, vermute ich«, sagte Henner leise, der, von uns unbemerkt, in die Kabine zurückgekehrt war.
    »Warum stehen die auf einem Bein?«, fragte Mark.
    »Vielleicht entlastet das die Muskeln«, schlug ich vor.
    »Reine Angeberei?«, meinte Mark.
    »Oder die jeweilige Gehirnhälfte schläft«, kam von Henner.
    »Bei Fledermäusen sind die Füße … äh … Greifdinger in der Ruheposition, wenn sie geschlossen sind«, referierte ich, denn ich hatte mal einen Text über Fledermäuse redigiert, aber inzwischen vergessen, wie die Füße von denen genannt wurden – vermutlich Klauen oder so. »Dadurch ist für sie das Festhalten entspannter als das Loslassen, quasi.«
    Mark schloss und öffnete die Faust mehrfach, wobei er »Greifdinger« murmelte.
    »Mmh«, machte Henner.
    Wir drehten synchron die Köpfe, während wir den Vogel passierten. Es war der größte Vogel, den ich jemals in freier Natur zu sehen bekommen hatte.
    »Feinkörnig«, sagte Mark, ohne zu erklären, was zur Hölle er damit meinte.
    Henner ging unter Deck in seine Kabine, vermutlich um zu prüfen, was da zu Bruch gegangen war. Und sich umzuziehen. Genug Gepäck hatte er ja dabei – vier Koffer und zwei Reisetaschen, weit mehr als Mark und ich zusammen.
    Ich steuerte die Dahme durch das legitime Wunder, das uns umgab. Das Wasser war nicht glasklar, aber auch nicht trüb, und ich konnte Fischschwärme sehen. Am Ufer versuchten Blumen und Büsche, sich mit ihren Reizen zu übertreffen. Es zirpte, fiepte, zwitscherte von überall, außerdem war es angenehm warm – und es duftete unfassbar. Ein ähnliches Aroma hatte ich noch nie gerochen. Ich übergab das Ruder an Mark und ging in meine Kabine, um mir kurze Hosen und ein Shirt anzuziehen. Dabei entdeckte ich mein Mobiltelefon, das zwölf Anrufe in Abwesenheit anzeigte – alle von Cora. Erstaunlich, ich hatte heute überhaupt noch nicht an sie gedacht. Und ich beschloss, das auch jetzt nicht zu tun, schnappte mir meine Bierflasche und die obskure Gewässerkarte und ging zu Henner, der am Bug auf der Bank saß und aufs Wasser vor dem Schiff starrte.
    »Kann jedem passieren«, sagte ich freundlich.
    Er nickte, ohne mich anzusehen, und ich stellte die Frage nicht, die ich hatte stellen wollen – ob er auch Lust auf ein Bier hätte. Vor uns am rechten Ufer kamen

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