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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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verstreut stehende niedrige Gebäude in Sicht, eine Art Kleingartenkolonie. Jedes der akribisch gepflegten Grundstücke hatte einen kleinen Steg, an denen Paddel- und Motorboote befestigt waren. Nach einer Kurve tauchte eine schmucklose Straßenbrücke auf.
    »Das muss Steinförde sein«, rief Mark, der inzwischen die mächtigen Scheiben vor dem Steuerstand hochgeklappt hatte und eine Basecap trug, was ihn noch jünger aussehen ließ. Ich blickte auf die Uhr – kurz nach sechs. Nach der Karte zu urteilen, war es nicht mehr weit bis zu den Seen, auf denen wir nach einem Ankerplatz suchen würden.
    »Versuchst du noch mal, Simon anzurufen?«, rief ich zurück.
    »Aye!«
    Hinter der Brücke entdeckte ich den Platz, an dem man möglicherweise – eher mit einem kleineren Schiff – anlegen könnte, um Simon aufzunehmen. Ich sprintete in die Kabine, holte mein Telefon – ein weiterer Anruf in Abwesenheit – und startete Google Maps. Dann kopierte ich die Geodaten unseres Standorts und schickte eine SMS an Simon. Kurz darauf versuchte ich, ihn anzurufen. Ergebnislos.
    »Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht zu erreichen«, bestätigte Mark vom Steuerstand aus, ein frisches Bier in der linken Hand.
    Die Havel wurde etwas breiter, kurviger, noch schöner. Wir passierten seltsame, verlassen wirkende Bootsschuppen, deren Tore mit gewaltigen Spinnennetzen überzogen waren. Schilf. Noch ein Reiher, auch wieder auf einem Bein. Etwas blau Schillerndes, Amselgroßes querte den Fluss in meiner Gesichtshöhe, direkt vor uns, wie ein kurzer Zauber. Dann verbreiterte sich die Havel, und wir fuhren in einen kleinen See ein, der sich links von uns nierenförmig vergrößerte.Rechts war die Ausfahrt markiert, über die es weiterginge. Auf dem See ankerten bereits drei Boote, alle weitaus kleiner als unseres.
    Einem Impuls folgend, legte ich Henner die Hand auf die Schulter. »Wir müssen jetzt ankern.«
    Er nahm Haltung an, sah zu mir herüber – und versuchte sich tatsächlich an einem Lächeln. Trotzdem wirkte der etwas bullige, aber keineswegs kräftige Zwei-Meter-Mann in diesem Augenblick sehr klein; die Autorität, die er anfangs – keine zwei Stunden war das her – auszustrahlen versucht hatte, war ersatzlos verschwunden. Er stand auf und widmete sich der Ankerwinde am Bug. Es gab einen verchromten, halbmeterlangen Hebel, den man in eine Befestigung stecken musste. Henner tat das auch und zog probeweise am Hebel, woraufhin ein mächtiges Rasseln ertönte.
    »Äh«, sagte ich. »Wir fahren noch.«
    Er zog abermals am Hebel, kurz darauf stoppte das Rasseln, doch Henners Stirn war schon wieder schweißnass.
    »Scheiße.«
    »Halb so wild.«
    Immerhin hatte das Boot nicht angehalten – der Anker war also noch nicht unten angekommen. Was dann wohl passiert wäre? Ich beugte mich über die Reling, die Ankerkette zerrte nach links unten und verursachte dabei äußerst merkwürdige, aber vorerst kaum beunruhigende Geräusche. Der Anker selbst war nicht zu sehen.
    »Halt mal an!«, rief ich nach hinten. Mark ayte – und stoppte.
    »Immerhin wissen wir jetzt, wie das geht«, sagte ich lachend und schlug Henner auf die Schulter. Der hebelte inzwischen hin und her, und die Ankerkette schien sich tatsächlich aufzuwickeln. Sein Nacken glänzte, unter den Achseln zeichneten sich auf seinem Shirt Flecken ab. Dabei hatte er es gerade erst angezogen. Ein gebügeltes Shirt.
    Wir suchten und fanden einen guten Platz – nicht zu dicht am Schilf, nicht zu weit draußen – und hielten an.
    »Und jetzt?«, fragte der Pfarrer.
    »Mmh. Anker raus und warten, bis die Kette nicht mehr nachgibt, würde ich sagen.«
    Er löste die Kette, es rasselte wieder, dann wurde aus der Kette Leine, die sich weiter rasch abwickelte. Und irgendwann damit aufhörte, einfach weil sie völlig abgewickelt – aber am anderen Ende wenigstens befestigt – war. Ich sah in die Gewässerkarte und ersparte mir einen Kommentar über die Möglichkeit, dass die Ankerleine auch gut und gerne hätte lose gewesen sein können. Er dachte das vermutlich selbst, jedenfalls enthielt sein Gesichtsausdruck entsprechende Hinweise.
    »Hier ist es höchstens vier Meter tief. Wie viel Ankerleine war das?«
    Henner zuckte die Schultern und sah unglücklich aus. »Vielleicht zwanzig Meter. Können auch dreißig gewesen sein. Keine Ahnung.«
    Immerhin lag das Schiff still – Mark hatte den Motor abgeschaltet –, aber es ging auch kein Wind, und Strömung schien es hier ebenfalls nicht

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