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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Schiffe vor uns. Ich drückte den Bugstrahlruderknopf, den ich emotional für den besseren hielt (den roten – ich nahm mir vor, später darüber nachzudenken), unser Vorschiff drehte sich tatsächlich in die richtige Richtung. Dann gab ich ein wenig Gas, und der Pott tuckerte gemächlich auf das Heck des Schiffes vor uns zu. Aufstoppen, Bugstrahl. Wieder leichtes Gas vorwärts.
    »Irgendwer sollte mal nach vorne gehen und irgendwas machen«, sinnierte ich laut.
    Henner, dessen Shirt stressschweißbedingt die Nässe seiner Hose angenommen hatte, nickte leicht irr, turnte nach hinten raus und tauchte kurz darauf auf dem Vorschiff auf. Dort nahm er ein Stück Leine und betrachtete nachdenklich die Schleusenwand, die selbst ihn überragte – der Hub betrug, wie ich später herausfand, gute anderthalb Meter. Das Heck des Schiffes vor uns kam näher, ich sah kurz nach hinten: Man war uns auf den Fersen. Aufstoppen. Der Pfarrer musterte nach wie vor die Stahlplatten. Bugstrahl, das Vorschiff dümpelte gegen die Schleusenwand.
    »Leine um die Stange!«, brüllte jemand von links. An Land, direkt neben unserem Boot, stand ein jüngerer Mann, vermutlich der Schleusenwärter. Henner nickte bedächtig und sichtlich erfreut darüber, keine eigenen Entscheidungen treffen zu müssen, zog das Tau zweimal um eine der gelben Stangen herum und wickelte es dann mehrfach um die Reling. Mark ging nach hinten und zog seine Leine nur um die Stange, behielt das andere Ende aber in den Händen, wie das dieLeute hinter uns auch taten, wie ich durch die große, verglaste Doppeltür, die vom Salon auf die kleine Terrasse führte, schön beobachten konnte. Die Dahme lag ruhig. Wir waren in der Schleuse, nicht zu fassen. Und praktisch ohne Schaden.
    Die anderen legten an, die Schleusentore schlossen. Und dann erfuhren wir, warum man Schiffe nicht in Schleusen festmacht – und dass festmachen nicht notwendigerweise bedeutet, etwas festzu knoten . Zwei falsche Schlingen in der falschen Richtung gelegt, Zug in die andere – und man kann keine Leine mehr nachgeben. Während der Pegel in der Schleusenkammer recht rasant anstieg, kämpfte Henner mit seiner Leine, die keine Anstalten machte, der veränderten Situation Rechnung zu tragen. Vom Bug kommend, überschlugen sich die – überwiegend ziemlich blasphemischen – Flüche, mit denen der Pfarrer kommentierte, dass die Dahme zu sinken drohte. Schon nach zwanzig Sekunden hatte das Schiff so starke Schlagseite, dass aus den Schränken Geschirrgeklapper zu hören war. Marks halbleere Bierflasche rutschte vom Tisch und bollerte zu Boden, noch nicht einsortierter Proviant folgte, und schließlich musste ich mich sogar abstützen.
    »Ich brauche ein Beil! Ein großes Messer! Irgendwas!«, schrie Henner mit sich überschlagender Stimme. Ausgerechnet aus seiner Kabine konnte ich jetzt ein böses Krachen hören.
    Und dann stoppte es, während ich schon dabei war, nach einem Werkzeug zu suchen, mit dem man Leinen kappen könnte. Wir hingen immer noch schief, aber die Abwärtsbewegung hatte deutlich spürbar aufgehört.
    »Jungs, habt ihr bei der Einweisung gepennt?«, fragte eine Stimme, die mir bekannt vorkam. Ich sah, gerade auf dem Salonboden herumkriechend – hey, unter dem Herd lag tatsächlich ein Beil! –, zum Fenster. Der Schleusenwärter stand neben Henner, die Hände in die Hüfte gestützt, grinsend, aber nicht hämisch.
    »Einweisung?«, trällerte Mark, immer noch sehr fröhlich, seine – freie – Leine lässig haltend.
    Ich ging nach hinten, turnte an Mark vorbei und hangelte mich an den Kabinen vorbei zum Bug. Der Schleusenwärter, ein rundlicher Endzwanziger, der ein bisschen wie ein ewiger Informatikstudent aussah, sprang behände an Bord. Lässiger Job, Schleusenwärter.
    »Ich hätt’s gleich gehabt«, nuschelte Henner.
    »Und was wäre dann passiert? Hast du eine Ahnung, was da für Kräfte wirken? Euer Porzellan hättet ihr wegschmeißen können.«
    Unser Bugmann schwieg betreten. Sein Shirt war inzwischen patschnass, aber ohne den Einfluss des Havelwassers.
    Der Schleusentyp löste vorsichtig beide bootsseitigen Befestigungen der Leine, ließ aber jeweils noch eine Umdrehung übrig, stemmte sich mit den Füßen gegen die Bootswand und gab das Tau dann beidhändig langsam nach. Gemütlich und als wäre nie etwas geschehen, kam der Bug der Dahme auf Niveau, begleitet von merkwürdigen Geräuschen aus dem Innenraum. Auf den Schiffen vor und hinter uns standen die Leute, alle

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