Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Die Ausfahrt lag links, wir waren rechts eingefahren, die Kammer war gut doppelt so breit wie diejenige der Schleuse Steinhavel. Das hatte auch der Familienvater vor uns bemerkt, weshalb er jetzt einfach mitten in der Schleusenkammer anhielt. Das Röhren des Bugstrahlruders verkündete, dass er versuchte, die nicht sehr schlaue Position zu halten.
»Links anlegen!«, rief Mark, für seine Verhältnisse recht autoritär. Simon stoppte auf. Hinter uns brüllten die Leute auf den anderen Booten unverständliche Dinge, wahrscheinlich Flüche und Beschimpfungen. Vor der Schleuseneinfahrt staute sich der Verkehr. Ohne Bugstrahlruder war es sicher nicht leicht, einfach irgendwo stehenzubleiben – und nicht abzutreiben.
»Wie soll ich das machen?«, fragte der Mann zurück, geradenoch verständlich. Er sah sich um, als gäbe es da irgendwo schematische Zeichnungen, die ihm weiterhelfen könnten. Jetzt wirkte er ziemlich unglücklich; die Euphorie von vor vierzig Minuten war komplett verflogen.
Da sich Heck seines Schiffes und Bug der Dahme fast berührten, sprang Mark einfach auf das andere Schiff und stieg die Treppe zur Brücke hoch. Kurz darauf nahm das Boot sehr leichte Fahrt auf, Mark betätigte das Bugstrahlruder, und der Bug des Schiffes erreichte tatsächlich irgendwann die Schleusenwand auf der linken Seite, nicht sehr weit vom Tor entfernt. Da es abwärtsgehen würde, die Kammer also gefüllt war, konnte das vordere Mädchen an Land springen, was sie mit einer Körperhaltung tat, als wäre es dort noch nerviger und langweiliger. Immerhin zog sie das Schiff weiter in Richtung Tor. Mark kurbelte wie ein wilder, gab etwas Gas, bis schließlich auch die andere Rothaarige ihre Leine um einen der eingelassenen Ringe ziehen konnte. Vom Boot hinter unserem kam ironischer Applaus, Mark verneigte sich in alle Richtungen und kletterte dann ebenfalls an Land – nachdem der Schiffsführer ihn heftig umarmt hatte: Der Oberkörper des Familienvaters glänzte vor Schweiß.
Simon brachte uns zielsicher dahinter in Position, Henner hielt das Boot vorne. »Nicht festmachen!«, rief ich, Mark hatte das bei der vorigen Schleusung getan. Vermutlich würden wir das bis zum Ende der Reise wiederholen. Ich sprang heckwärts an Land und hielt meine Leine lässig, während ich den anderen Booten dabei zusah, wie sie auf dieser und der anderen Seite die Plätze einnahmen. Die Schleuse fasste auf diese Art ordentlich was, aber als schließlich noch ein weiteres Schwesterschiff – etwa zehn Meter lang – einzufahren versuchte, war die Kapazität bereits erreicht. Langsam und ziemlich unkoordiniert rückte das Boot wieder ab, wobei ich erstmals sah, wozu die merkwürdige Stange gut war: Ein junger Mann auf dem Vorschiff benutzte sie, um die Wände derSchleusenausfahrt entweder auf Abstand zu halten oder sich und das Boot an sie heranzuziehen.
Nur die Kanuflotte kam nicht mehr. Ich starrte auf die sich schließenden Tore und hoffte darauf, dass in letzter Sekunde ein kleines, rotes Boot mit zwei paddelnden Frauen an Bord hereinschlüpfte, doch das geschah nicht. Stattdessen senkte sich der Wasserspiegel gemächlich um fast zwei Meter, wodurch nicht nur Entfernung, sondern auch ein Höhenunterschied zwischen mir und der dunkelblonden Kussmundfee trat. Ich ging zum Kühlschrank, nahm zwei Biere heraus, öffnete sie und reichte Mark, der das Steuer übernommen hatte, eines davon, der das mit einem selbstverständlichen Nicken bestätigte.
»Ich auch«, rief Simon von vorne.
Und schon während ich auf dem Weg zum Kühlschrank war, rief eine andere Stimme: »Ich glaube, ich nehme auch eins.« Die von unserem Pfarrer. Wir prosteten uns zu, während Mark Kurs auf die Brücke am Ende des kleinen Sees hinter der Schleuse hielt und die Dahme recht flink am Schwesterschiff mit der Flying Bridge vorbeirauschte, an dessen Steuer jetzt die dicke Frau im Hauskleid stand und wissend zu uns herüberlächelte.
Das Städtchen Fürstenberg ließen wir bald hinter uns – dem kleinen See diesseits der Schleuse folgte der etwas größere Schwedtsee, an dessen östlichem Ufer die Gedenkstätte Ravensbrück lag, was wir aber nur der immer noch überwiegend rätselhaften Karte entnehmen konnten, denn gleich nach der Einfahrt lag hinter einem schilfbewachsenen Uferstück rechter Hand wieder die Ausfahrt, so dass wir den See im Prinzip nur tangierten. Die Havel war hier breiter, wirkte aber urwüchsiger und wilder als bei dem Stückchen, das wir als Steinhavel
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