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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Schulen, die ich bis zum Abitur besucht habe, war alles, was mit Wasser und halbnackten Körpern zu tun hatte, verpönt, und mein Vater hielt es für überflüssig. Eigentlich sogar für unnatürlich. Fische gehören ins Wasser, Menschen gehören an Land, so hat es Gott gewollt, hat er gemeint. Und: Lerne das Wort des Herrn, das ist wichtiger.« Henner verzog den Mund zu einem schmalen, etwas bitteren Lächeln.
    »Als erwachsener Mann muss man ganz schön mutig sein, um noch schwimmen zu lernen. Ich meine, ich würde ja gerne – ich bin ein bisschen neidisch, dass ich nicht auch einfach reinspringen kann. Aber stellt euch mal vor, was los ist, wenn jemand aus der Gemeinde herausfindet, dass Pfarrer Balsam das Seepferdchen macht.«
    »Wer ist Pfarrer Balsam?«, fragte Mark.
    »Rate mal«, erwiderte ich.
    Mark sah von mir zu Henner und dann wieder zurück. »Oh, entschuldige.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    »Schwimmen ist nicht schwer«, sagte Simon, wieder im Hawaiihemd und mit einer Fluppe zwischen den Lippen. »Wir könnten es dir beibringen. Allerdings müssten wir irgendwo Schwimmflügel auftreiben.« Nach einer kurzen Pause ergänzte er: »Und eine Stelle, an der uns niemand beobachtet.Du willst dich ja schließlich nicht auf YouTube beim Schwimmenlernen bewundern, oder?«
    »Hast du keine Angst?«, fragte Mark. »Ich meine, du könntest jederzeit reinfallen.«
    »Ich bin vorsichtig, wirklich. Und ihr seid ja auch noch da. Nein, ich habe keine Angst.«
    »Sondern Gottvertrauen?«, sagte Mark eher, als dass er es fragte.
    Henner sah ihn unglücklich an. »Könntest du bitte damit aufhören? Ich piesacke dich ja auch nicht ständig mit … was auch immer du tust.«
    Mark sah zu Boden, aber er grinste dabei. Ich wusste genauso wenig wie der Pfarrer, womit er seinen Lebensunterhalt bestritt.
    »Immerhin«, sagte ich. »Du rückst ein bisschen spät damit raus, mein Guter. Stell dir vor, du wärst irgendwo über Bord gegangen und wir hätten das nicht gewusst.«
    Henner starrte mich an, sichtlich betroffen. »Stimmt. Entschuldigung.«
    Bevor wir in den Salon gingen, um über das Mittagessen zu diskutieren, sagte Mark noch: »Jan-Hendrik, ich hätte gerne so einen Job wie du. Eigentlich bin ich sogar ein bisschen neidisch, ehrlich.« Und dann, nach einer kurzen Pause: »Hier gibt es doch auch Strände. Wir könnten vor einem ankern, da könntest du dann auch baden.«

    Simon kochte ein Kilo Vollkornpasta, wozu er zwei Gläser Fertigsauce aufwärmte, die er mit passierten Tomaten, allerlei Gewürzen und angeschwitzten Zwiebeln verfeinerte. Wir verschlangen das Essen in der prallen Sonne auf dem Vordeck, es war nicht weniger als ein absolut köstliches Festmahl, auch wenn es sich nur um Spaghetti mit roter Soße handelte. Auch von zwei Kilo Nudeln wäre nichts übriggeblieben. Danach tranken wir eiskalte Biere, auch Henner, also sein zweitesheute. Er wirkte entspannter als noch am Morgen oder gar am vorigen Abend, aber auch auf seltsame Weise verletzlich, was vielleicht an seinem Geständnis lag. Das ja nicht nur die Offenbarung einer essentiellen Unfähigkeit enthalten hatte, sondern, wie ich durchaus bemerkt hatte, auch merkwürdig kritische Töne dem gegenüber, was er beruflich tat. Als er »Lerne das Wort des Herrn« gesagt hatte, enthielt das nicht nur einen Vorwurf an den offenbar strengen, überfrommen Vater, sondern auch etwas Spöttisches, das aus dem Mund eines Gottesmannes zu hören ziemlich befremdlich war, sogar für jemanden wie mich, dem Glauben und alles, was damit zu tun hatte, so weit am Arsch vorbeiging wie ein Meteoritenschauer, der die Venus traf. Ich musterte ihn von der Seite, wie er an seinem Bier nuckelte und nachdenklich aufs Wasser sah, dann drehte er sich plötzlich zu mir und sah mich direkt an. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den ich erst nicht fassen konnte. Er bat mich stumm, das, was ich herausgehört hatte, für mich zu behalten. Ich zwinkerte ihm freundlich zu, Henner nickte langsam. Dieser Koloss von einem Mann, der sicherlich vielen Gemeindegliedern Hoffnung vermittelte, der eine Schar von Pflegekindern großzog und mit einer Frau zusammenlebte, für die er vermutlich einziger Fixpunkt in einem kulturell und sozial völlig fremden Leben war – in diesem Koloss rumorte es gewaltig: Er war einsam. Nie hatte ich das bei einem Menschen so deutlich gespürt, und es erschütterte mich.
    Wir überquerten den mächtigen See. Von den Schiffen aus, an denen wir

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