Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
kannten. Am rechten Ufer entdeckte ich allerdings bald eine Art Trimm-dich-Pfad, links gab es zwei, dreiäußerst schmale, strandartige Abschnitte, an denen nackte Kinder im Wasser spielten, außerdem saßen hier und da Angler am Ufer, die uns keines Blickes würdigten, obwohl Mark Dinge wie »Petri heil!« und »Einmal Forelle Müllerin Art, bitte!« rief. Er fuhr vorsichtig, auch als wir die ehemalige Eisenbahnfähre erreichten, die der Karte zufolge inzwischen ein Denkmal war. Im Wildwuchs der Ufer konnte man links noch die Gleise erkennen. Danach verschwanden alle Anzeichen von Zivilisation bis auf zwei Hochspannungsleitungen, die in großer Höhe über den Fluss hinwegreichten. Ich zählte nicht weniger als sechs Reiher, die statuenhaft am Ufer posierten, aber einer schwang sich sogar auf und flog direkt vor uns mit sanften, würdevollen Flügelschlägen davon. Henner zückte aufgeregt seine Digitalkamera, doch das Display zeigte später nur einen von hinten beleuchteten, verwaschenen Schatten mit etwas, das höchstens bei gutem Willen als Flügel zu erkennen war. Wir kamen an blühenden Seerosenfeldern vorbei, die weit in den Fluss hineinreichten, das Wasser glitzerte, hin und wieder sah ich ein paar kleine Fische. Heere von Schmetterlingen flatterten um die Büsche und Blumen des Ufers. Mächtige, schillernde Libellen bewegten sich in ihrem eigenartigen Rhythmus über das Wasser, zuweilen paarweise, die eine hinten an der anderen angedockt. Sex . Ich dachte an das dunkelblonde Wesen aus der Schleuse Steinhavel und imaginierte, etwas Ähnliches mit ihr zu tun, aber eigentlich wollte ich vor allem mit ihr sprechen. Sie einfach fragen, warum sie mich angelächelt und mir einen Kussmund zugeworfen hatte. So wie Curt am Ende von American Graffiti kurz mit der geheimnisvollen Blondine telefoniert, die er allerdings trotzdem nicht mehr trifft. Den Traum wenigstens berühren .
Wir saßen zu dritt auf dem Vordeck, Simon sonnte sich rauchend, Henner lehnte am Vorderrad des Klapprades und las in einem Buch, das in blau glänzende Schutzfolie eingeschlagenwar, was in mir nostalgische Gedanken an meine Grundschulzeit weckte, Mark rief hin und wieder etwas vom Steuerstand aus, wenn er einen Reiher entdeckte. Ich bemerkte, wie ich in ziemlich entspannte Stimmung geriet, die ruhige Fahrt und das äußerst ungewohnte Überangebot an Natur zu genießen begann. Es war so völlig anders als alles, was ich je erlebt hatte, und ich wusste, dass es meinen Begleitern ähnlich erging. Dabei befanden wir uns weniger als hundert Kilometer nördlich von Berlin.
Nach insgesamt knapp drei Kilometern, für die wir eine halbe Stunde brauchten, führte die Havel in den Stolpsee, einen recht großen Teich, auf dem die Hölle los war. Die flirrende kilometerlange Wasseroberfläche war gespickt mit weißen Segeln und den Konturen ankernder Boote, von denen aus Leute ins Wasser sprangen. Am linken Ufer war eine lange Wasserskistrecke markiert, auf der zwei Motorboote aufeinander zurasten, hohe Kielwellen und Menschen in Neoprenanzügen hinter sich herziehend.
»Darauf hätte ich auch Bock«, sagte Mark, in Richtung der Wasserskiläufer weisend. Bei diesen Worten gab er Vollgas, die Dahme schien einen Satz zu machen und pflügte, ordentlich Gischt aufwirbelnd, durch das leicht wellengekräuselte Wasser.
Wir beschlossen, einen Ankerplatz zu suchen, um Mittagspause zu machen – es ging auf halb zwei zu –, und fanden am rechten Ufer bald einen in einer leichten Ausbuchtung. Mark montierte die Badeleiter, Simon erschien in einer knallroten Badehose an Deck, was das Hawaiihemdoutfit sogar noch in den Schatten stellte. Er sah aus, als wäre er im Hüftbereich schlimm verbrüht. Drei Mann sprangen ins herrlich kühle Wasser – Mark vom oberen Dach –, aber Henner blieb auf dem vorderen Kabinendach sitzen und sah uns nur zu, milde lächelnd, mit einem Gesichtsausdruck also, den er vermutlich auch auflegte, wenn seine Schäfchen Lappalien beichteten.
»Komm doch rein!«, riefen wir prustend, doch er schüttelte nur den Kopf, den Gesichtsausdruck beibehaltend.
»Warum bist du nicht reingekommen?«, fragte ich, als ich neben ihm saß, nass, erfrischt und inzwischen ziemlich hungrig.
Er sah mich nachdenklich an. »Ich kann nicht schwimmen«, sagte er schließlich, recht leise. Aber Mark, der sich vor uns abtrocknete, hatte es gehört.
»Du kannst was nicht?«
»Schwimmen. Hab’s nie gelernt.« Er runzelte die Stirn. »An den kirchlichen
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