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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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zu erheben. Winkte sie mir zu? Ich winkte zurück, was sie sicher nicht sehen konnte.
    »Vorsicht!«, brüllte Henner. Ich sah nach vorne. Das rechte Ufer kam auf uns zu, ich schlug kräftig nach links ein, wodurch dann nur noch das Heck unseres Schiffes knirschend gegen die Befestigung schlug. Das Geschirr in den Schränken und auf dem Terrassentisch klapperte, aber ansonsten überstanden wir das schadlos. Ich kurbelte weiter, um nicht anschließend das andere Ufer zu treffen, dann lag die Dahme mittig im Fluss. Von der Wartestelle erklangen ein paar Pfiffe und hämische Rufe.
    Ich übergab das Steuer an Simon, der alle Knöpfe seinesHawaiihemdes geöffnet hatte und dadurch wie ein lächerlicher Nebendarsteller in einem Gangsterfilm aussah. Dann schlüpfte ich in meine Badehose, setzte mich auf einen Plastikstuhl auf der Heckterrasse und starrte in unser schäumendes Kielwasser. Die Schleuse und die Kanus waren längst außer Sicht, wir passierten drei mächtige Lastkähne, die am rechten Ufer befestigt und mit Holzpflöcken beladen waren. Ein paar Arbeiter mit Helmen und Kopfhörern waren zugange, ein Schiff war mit einer Art Presslufthammer ausgestattet, der auf eine Holzbohle eindonnerte, die dadurch langsam am Ufer im Boden versank. Davon abgesehen war es still, auch die Baustelle ließen wir bald hinter uns – und damit die Kanufahrer. Ich dachte an die dunkelblonde Frau, holte, einem Impuls folgend, mein Telefon und setzte mich wieder ans Heck. Inzwischen waren zweiunddreißig Kurznachrichten von Cora eingetroffen. Wo steckst du? , Ruf mich bitte dringend an! , Ich versuche schon seit Stunden, dich zu erreichen, ruf doch BITTE endlich zurück , gar Was ist nur los? , RUF ZURÜCK! und so weiter. Ein kleiner Balken zeigte an, dass ich das jetzt auch hätte tun können, aber der Gedanke daran, mit Cora zu sprechen, kam mir unwirklich und absurd vor. Ich beließ das Telefon auf Vibrationsalarm und legte es in die Kabine zurück.

    Als wir auf dem Röblinsee ankamen, wo sich auch der Heimathafen der Dahme befand, gab Simon ordentlich Gas. In kurzer Zeit überholten wir die anderen Schiffe, die mit uns geschleust hatten – hauptsächlich Hausboote in verschiedenen Ausführungen – und die an den grünen Bojen entlang auf die andere Ausfahrt zuhielten, nach und nach erkennbar durch zwei farbige Tonnen und die dahinterliegende Eisenbahnbrücke. Erstmals war die Bewegung des Bootes auch an Bord zu spüren. Da ein wenig Wind ging, gab es leichten Wellengang, und vom Bug hörte ich ein sanftes Knallen, wennsich der große Kahn, vom getunten Motor angeschoben, marginal hob und wieder absenkte, aber in einer Größenordnung, die bestenfalls derjenigen ähnelte, mit Henners Bockel über eine Kopfsteinpflasterstraße zu fahren. Von echtem Seegang konnte man kaum reden, und selbst jetzt spritzte kein Wasser so hoch, dass es Henners Kabinenfenster erreichte.
    Wir passierten den Charterhafen – den unser Rudergänger ja nicht kannte – in etwa fünfzig Metern Entfernung, und bevor ich Simon »Mach langsamer!« zurufen konnte, kamen zwei Techniker gut sichtbar aus der Hocke hoch und sahen zu uns herüber. Der Topf fuhr fast doppelt so schnell wie vorgesehen. Simon drosselte den Motor, zuckte entschuldigend die Schultern, als Henner mitteilte, was geschah. Die Techniker schienen sich zu beraten, einer nahm ein Fernglas zur Hand, der andere winkte uns auffordernd zu, aber Simon hielt unbeirrt Kurs auf die Ausfahrt, während wir anderen so taten, als hätten wir nie in Richtung Steganlage geschaut. Bis wir die Ausfahrt erreicht hatten, unser Steuermann auf Kanalgeschwindigkeit absenkte und wir schließlich unter der Brücke durchfuhren, geschah nichts. Man verfolgte uns nicht. Dafür klingelte Henners Mobiltelefon erstmals, seit wir an Bord waren, mit einer Tonfolge, die mich verblüffte und die ich nicht erwartet hätte: Es war das Intro von »Slow Love«, dem einzigen Achtungserfolg, den Cora und ihre Band Ugly Carpet je gehabt hatten, Platz sieben der deutschen Singlecharts im Oktober 2007. Leicht irritiert nahm ich das Gerät von der Sitzbank und reichte es dem Pfarrer.
    Er studierte das Display, während weiterhin die Keyboards zu hören waren, die Cora selbst spielte – diesen Song hatte ich allein live schon fast hundertmal gehört. Dann machte Henner eine Wischbewegung und hielt sich das Ding ans Ohr.
    »Ja?«, fragte er vorsichtig.
    Kurze Pause.
    »Der bin ich.«
    Längere Pause. Dabei Stirnrunzeln und leicht

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