Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Elefant oder ein verdammtes Dromedar. Wäre in diesem Augenblick ein mächtiger brummender Braunbär oder ein jaulender Wolf am Waldrand aus dem Unterholz getreten – das Erlebnis mit der Schlange war trotzdem nicht mehr zu toppen.
Der Wasserlauf wurde von drei weiteren Schleusen unterbrochen, kleineren Automatikschleusen, die wir immer gemeinsam mit der beeindruckenden Jacht passierten, die schon in Bredereiche vor uns gelegen hatte und die von drei braungebrannten, entspannt gekleideten Männern jenseits der sechzig gesteuert wurde. Wir fuhren ein, schleusten, fuhren wieder aus, nachdem wir die Umgebung der im Nichts liegenden Konstruktionen in uns aufgesogen hatten. Simon saß meistens hinten auf der Terrasse, rauchte und betrachtete die Landschaft, während Henner immer seltener in seinem Buch las. Aus Marks Koje war sein lautes, gleichmäßiges Schnarchen zu hören.
Nicht weit hinter der Schleuse Schorfheide teilte sich der Flusslauf. Ein Wegweiser zeigte an, dass es links in Richtung der Templiner Gewässer ginge, und genau dorthin wollten wir. Simon löste mich am Steuerstand ab, ich nahm drei Biere aus dem Kühlschrank und reichte jedem wachen Besatzungsmitglied eines, Henner ließ sich von Simme eine weitere Zigarette geben und rauchte sie genussvoll, im Schneidersitz neben dem Klappfahrrad. Aus Marks Kabine erklang ein merkwürdiges Geräusch, eine Art Wimmern, und ich nahm an, dass er schlecht träumte. Ich setzte mich auf die Bank am Bug, nippte an meinem Bier, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Es war kurz nach halb fünf am zweiten Tag, aberes kam mir vor, als wären wir schon mindestens eine Woche lang unterwegs. Die durchaus erhebliche Hitze relativierte sich durch den sanften Fahrtwind und die subtile Kühle, die vom Wasser aufstieg.
Der Flusslauf veränderte seine Konturen, die Bereiche zwischen den Ufern wurden schmaler, zuweilen sogar so schmal, dass ich stutzte, denn der Weg bereitete Simon am Steuer zwar nicht die geringsten Schwierigkeiten, aber durch die zunehmende Nähe der Natur am Rand des Flusses überkam mich mehr und mehr das Gefühl, ein Eindringling zu sein. Baumwipfel reichten teilweise weit über die Gewässermitte, wir drückten Schilf in die Schräge, wonach sich der Fluss wieder verbreiterte und uns in großzügigen, wild umwucherten Biegungen in neuen Natur-Overkill führte. Gleichzeitig wurde es etwas kühler. Wir waren mittendrin, die Flora hatte uns aufgenommen, und mit leise blubberndem Motor glitt das mächtige Schiff durch die Landschaft, als wären wir Erst-Erkunder – die große Jacht war in die andere Richtung abgebogen, so dass wir die Einsamkeit für uns hatten. Ich versuchte mich am Experiment, mir mein Büro im Verlag, meine Wohnung oder meine Stammkneipe vors geistige Auge zu rufen, sah aber immer nur verschwimmende Konturen, die vom alles andere beherrschenden Grün, das uns umgab, zurückgedrängt wurden.
Endlich weitete sich der Fluss, öffnete sich zu einem kleinen See, an dessen Rand mehrere Boote mit dem Bug scheinbar direkt auf dem Ufer ankerten, daraus wurde ein größerer See. Eine Rauchfahne am Horizont verkündete eine die Grilltechnik beherrschende Zivilisation. Simon drückte den Gashebel nach vorne, was ich für den Bruchteil einer Sekunde bedauerte, dann hielten wir auf die vorerst letzte Schleuse des Tages zu: Kannenburg. Meine Uhr zeigte, dass es bereits nach sieben am Abend war.
Plötzlich stand Mark neben mir, rieb sich den Schlaf ausden blinzelnden, schmalen Augen, kratzte sich durch die kurze Hose an den Eiern und fragte den Familienausflugsklassiker: »Ist es noch weit?«
Direkt neben der Schleuse, der einzigen im Revier, die noch durch Menschenkraft angetrieben wurde, wie die Karte verriet, befand sich ein großer Biergarten. Wir fuhren nach kurzer Wartezeit in die Schleuse ein, deren Wände nicht stahleingefasst und senkrecht waren, sondern gemauert und schräg, jedoch von senkrechten Metallstangen gesäumt. Nachdem wir festgemacht hatten, wanderte ein rustikal wirkender, offenbar äußerst gemütlicher Mensch erst zum hinteren Tor, kurbelte eine Weile, bis die Tore geschlossen waren, verschwand danach für einige Minuten im Wärterhäuschen, erschien schließlich wieder – kauend – und wiederholte die Kurbelei auf routiniert-abwesende Weise vorne. Er sah zwar zu unserem Boot, das neben einem kurzen, mit einem Angler besetzten Außenborder das einzige in der Schleusenkammer war, aber es machte nicht den Eindruck, als
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