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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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würde er uns tatsächlich anschauen. Er hatte auch keinen Blick für die Hundertschaften von Fischen, die mit uns die Schleuse passierten und deren stoßweise vor- und zurückschnellende Rücken in der frühen Abendsonne schillerten. Der See, den Henner für die Nacht ausgesucht hatte, war nicht weit entfernt, so dass es kaum Diskussionen gab, als ich vorschlug, im benachbarten Biergarten ein paar Pilsetten einzuatmen, vielleicht ein verbranntes Nackensteak zu schlucken und erst anschließend den Ankerplatz aufzusuchen. Der Liegeplatz rechts, also in Fahrtrichtung, war allerdings besetzt, so dass wir wenden mussten, um am gegenüberliegenden Sportbootwarteplatz festzumachen. Danach verließen wir erstmals gemeinsam die Dahme , Henner mühte sich mit dem lächerlichen Türschloss ab, für das es einen noch lächerlicheren Schlüssel gab, den man in Sekundenschnelle aus Balsa hätte nachschnitzen könnenund an dem eine dicke Holzkugel hing, als würde das irgendwen an irgendwas hindern. Klar, verstand ich eine halbe Sekunde später – den Schlüssel am Untergehen, wenn er ins Wasser fiele.
    Im Biergarten war noch ordentlich Betrieb. Auf den Bierzeltbänken hockten Familien, Männergruppen, jüngere Paare – und erstmals auch Leute, die ich wiedererkannte, obwohl es mir beim Gedanken an die Chartereinweisung vorkam, als läge sie weit mehr als nur anderthalb Tage zurück: Die Keglergruppe saß uns schräg gegenüber, offensichtlich schwer vom Gerstensaft beeindruckt, dahinter fand sich eine der Familien, deren halbwüchsige Söhne beim Wort »Rudergänger« Haltung angenommen hatten, und kurz darauf sah ich etwas, das mich auf merkwürdige Weise solidarisch, fast glücklich stimmte: die beiden Frauen, die ihren Kahn stante pede im Schilf des Röblinsees versenkt hatten. Also hatten sie sich doch getraut, das Steuer zu übernehmen. Ich fixierte die beiden eine Weile, aber selbst als eine davon mehrfach in meine Richtung gesehen hatte, stellte sich in ihrem Gesicht keine Mimik ein, die auf Wiedererkennen schließen ließ. Immerhin, es war nicht diejenige, die wir mit dem Landstromkabel ins Wasser katapultiert hatten: Die saß mit dem Rücken zu uns.
    Wir bestellten Halbliterbiere und Nackensteaks, Simon und Henner rauchten so genussvoll, dass ich auch ein Bedürfnis verspürte. Das Ende meiner Raucherkarriere lag mehr als ein Jahrzehnt zurück, aber Raucher ist man nur einmal im Leben, nämlich immer . Trotzdem widerstand ich der Versuchung, prostete den anderen zu, als die Glaskrüge kamen, und fühlte mich auf behäbige Weise sauwohl, während ich das kühle, frisch gezapfte Bier trank, unser in dreißig Metern Entfernung liegendes mordscooles Boot betrachtete und auf gegrilltes Schwein wartete.
    Mark stand auf, um auf ein richtiges Klo zu gehen, was ich für eine gute Idee hielt, aber wir waren keine Frauen,weshalb ich seine Rückkehr abzuwarten hatte. Währenddessen trudelten kurz nacheinander fünf oder sechs Taxis auf dem Parkplatz des Biergartens ein; ein Schwall jüngerer, aber nicht mehr ganz junger Frauen ergoss sich auf das Gelände, allesamt in schwarzen Röcken und rosa-bedruckten, weißen T-Shirts: ein Junggesellinnenabschied. Die meisten Aufdrucke lauteten »Brautjungfer«, »Braut-Security« oder »Braut-Freundin«, aber natürlich nur eine Frau trug ein Shirt mit der fetten Aufschrift: »Braut«. Das etwa achtundzwanzig Jahre alte, unterdurchschnittlich attraktive Mädchen in diesem Hemd schleppte außerdem einen offensichtlich handgefertigen Bauchladen mit sich herum, in dem Dutzende kleiner bunter Kuverts steckten. Ein Schild verkündete: »Exklusive Braut-Überraschung: Zwei Euros.« Die Mädelsgruppe enterte lautstark die Bierbänke direkt neben uns, nahm Platz, einen merkwürdigen, kaum verständlichen Gesang anstimmend, und als die wuchtige Kellnerin kam, wurde flaschenweise Sekt bestellt. Mark kehrte vom Klo zurück, blieb stehen, rieb sich die Nase, musterte den Tisch kurz und setzte sich dann mit den Worten: »Das kann lustig werden.«
    Innerhalb kurzer Zeit fluteten die Damen den Biergarten mit ihrer fröhlich-endzeitigen Stimmung, immerhin markierte es das unwiderrufliche Ende der Jugend, ein Ehegelöbnis zu sprechen. Nach der ersten Runde Sekt stand die Braut auf und klapperte die Tische ab, aber nicht einmal die volltrunkenen Kegler wollten zwei Euros investieren, um eine Braut-Überraschung zu erleben. Die verehelichten Männer an den anderen Tischen ließen zwar erkennen, nicht abgeneigt

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