Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
eine Zigarette an der nächsten an – wir konnten seinem Vorrat beim Dahinschwinden zuschauen. Wenn man ihn ansprach, schüttelte er nur den Kopf, setzte sich an den Bug und starrte aufs Wasser.
Hinter Priepert wurde es ruhiger, wir schwenkten in ein Stück Havel ein, das hier »Finowhavel« hieß, und kamen auf einen Fetzen See, den man kaum als See erkennen konnte. Dahinter lag der Havel-Kammerkanal, umgeben von fantastisch schöner Landschaft, eine halbe Stunde später erreichten wir die Schleuse Wesenberg. Es ging auf Mittag zu, wir suchtenund fanden die gut versteckte Einfahrt zum äußerst niedlichen Stadthafen Wesenberg. Dort machten wir fest, tranken ein paar Biere im Biergarten direkt hinter dem Hafen, aßen Soljanka und tranken ein paar weitere Biere. Simon schien plötzlich aus seiner Trance zu erwachen, aber er war in äußerst merkwürdiger Stimmung, nötigte Henner, mit ihm zu rauchen, orderte sogar zwei Runden Schnäpse (»Auf mein verbranntes Täubchen «) und zwei weitere Runden Bier, so dass jeder von uns satte drei Liter intus hatte, als wir auf die Dahme zurückkehrten. Dieserart leicht angegangen, überquerten wir den fünf Kilometer langen Woblitzsee (es müsste dann auch einen Dadonnersee geben, meinte Mark), fanden den Kammerkanal nach kurzer Suche wieder, schleusten noch zwei- oder dreimal, keine Ahnung: Simon brachte unaufhörlich Flaschen an, ließ keinen Widerspruch zu, beschallte uns mit Mickie Krause und Jürgen Drews und solchem Schrott, den er lauthals mitsang, nannte uns »gute Freunde« und murmelte zwischendrin wirres Zeug. Einzig Mark schien all das ziemlich locker wegzustecken, dafür ging er beinahe im Minutenrhythmus pinkeln, jedenfalls verschwand er andauernd unter Deck und kehrte immer noch aufgedrehter zurück. Ich war kurz davor, ihn zu fragen, ob ihn eine Inkontinenz plagte. Die Stimmung pendelte stark. Henner schien auf melancholische Weise fröhlich zu sein, Simon war zum Tier geworden, Mark tankte unter Deck aus einer ominösen Energiequelle – und ich wurde sekündlich müder und volltrunkener, aber auch entspannter, die übliche Suffmelancholie ließ auf sich warten. Wir wechselten das Steuer alle paar hundert Meter, weil es nicht nur Mark fortwährend zum Klo zog, aber Simon gönnte sich die Pumpenorgie unter Deck nicht mehr: Er stellte sich einfach ans Heck und pinkelte ins rauschende Kielwasser. Irgendwann tat ich es ihm gleich, sehr zum Missfallen der Leute, die hinter uns den Kanal befuhren. Ebenso missfiel ihnen vermutlich auch, dass wir einfach nicht in denTeich plumpsten, obwohl wir bestenfalls noch die Standfestigkeit von Marionetten an sehr locker gehaltenen Führungsschnüren hatten.
An der letzten Schleuse zum Zierker See, an dem Neustrelitz lag – es ging auf fünf Uhr nachmittags zu –, fing Simon plötzlich eine lautstarke Diskussion über sexuelle Fantasien an. Ob wir schon mal mit zwei Täubchen gevögelt hätten, davon würden schließlich alle Männer träumen. Eine lutschen, die andere pimpern oder im Wechsel. Frauen, die keine Fragen stellen. Wie das wäre? Mark nickte irr grinsend, Henner starrte konsterniert, zeigte aber mimisch, dass ihn das Thema zumindest mal beschäftigt hatte, ich zuckte die Schultern – eine Frau, zwei Frauen, es kommt auf das Wie an, nicht so sehr auf das Was, redete ich mir jedenfalls ein. Doch Simon war nicht zu bremsen. Er behauptete, dass es das Größte von allem wäre, dass wir etwas verpasst hätten und überhaupt und außerdem. Dann ging er zur Heckterrasse, breitete seine Handyphalanx aus und telefonierte. »Wo legen wir an?«, fragte er zwischendrin, kaum zu verstehen, und ich las den erstbesten Marina-Namen vor, den ich am Zielort auf der Karte entdeckte.
Immerhin fanden wir diese Marina, einen langgezogenen Steg, der weit in den See reichte und der reichlich abgerissen wirkte, und auch die Bauwerke drumherum sahen nicht gerade nach Neubau aus, sondern wie DDR-Industriedenkmäler. Simon tränkte die Wahrnehmung mit weiteren Bieren, grinste inzwischen listig-wirr, versprach uns eine große Überraschung für demnächst. Als wäre ihm dabei etwas eingefallen, kletterte er aufs Vorschiff, zerrte das Klapprad aus dem Ständer, warf es krachend auf den Steg und sprang hinterher. Dann radelte er davon, doch schon nach wenigen Metern warf es ihn aus dem Sattel, weil er mit dem Vorderrad eine morsche Stegplanke erwischte. Aber Simon erhob sich grinsend, reckte einen Daumen in die Luft, zeigte »Dresden 1945«,
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