Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
wie? – und sichtlich amüsiert erklärte, man solle Schiffe nicht mit Schleifchen festmachen. Ich stutzte. Klampen belegen war zwar ein echtes Gehirnverknotungsexperiment, denn man musste nach den ein oder zwei Achten, die man gewunden hatte, in die andere Richtung wechseln, um die Leine festzuzwingen, aber ich war eigentlich sicher, dass wir das inzwischen beherrschten. Immerhin hatte die Dahme mehrere Stunden lang fest am Platz gelegen, auch schon gestern, in Templin. Dann sah ich zum Ende des Anlegers hinter uns. Das Boot unserer Liegeplatzrivalen war verschwunden. Mitten in der Nacht. Das konnte nur eines bedeuten: Sie hatten unser Boot vorher losgemacht!
Immerhin gab es unseren Liegeplatz noch, Henner und ich schafften es ohne weitere Hilfe, den Kahn wieder festzumachen – die beiden anderen schienen über einen gesunden Schlaf zu verfügen. Der alte Mann war zu seinem Boot zurückgekehrt, einem langen Segelschiff, dessen Mast eingeklappt war. Er winkte uns und hielt eine Kaffeekanne hoch. Wir sahen uns an, zuckten die Schultern – und nahmen die Einladung an.
Herbert war vierundsiebzig und verbrachte drei Monate pro Jahr am Stück allein auf dem Wasser. Sein beeindruckendes Holzboot hieß Steuerfahndung? , mit Fragezeichen – das Geld dafür, erklärte er fröhlich, hatte er tatsächlich dem Fiskus vorenthalten, aber das war so lange her, dass sämtliche Verjährungsfristen längst überschritten wären. Seine Frau, die er immer nur »die Rita« nannte, war seit fast fünfzig Jahren an seiner Seite, so lange, dass man »die Titten kaum noch wahrnimmt und das andere auch nicht«, aber ohne diese drei einsamen Monate hätte er sie längst erschossen, wie er ebenfalls ziemlich amüsiert, aber ohne jede Ironie ausführte. Nach seinen drei Monaten verbrachte sie zwei auf Mallorca, wodurch sie sich nur sieben pro Jahr sahen, ein guter Mittelwert, fand Herbert, der uns anschließend seinen Waffenschein zeigte. Er fuhr mit dem Segelboot hoch zur Ostsee, wo er fischte. Aber der Heimathafen war in Himmelpfort. Er war kurz hier, um die Bilgepumpe austauschen zu lassen. Das Wort sagte mir was, aber ich konnte es nicht genau einordnen und fragte auch nicht weiter nach.
Die gemütliche Kajüte seines Bootes war mit Fotos, Andenken-Tellern und Unmengen Kokolores gepflastert, roch ein bisschen wie Simon kurz nach dem Aufstehen – Herbert rauchte fast ebenso intensiv –, fühlte sich aber sofort wie ein Ort an, der für jemanden ein echtes Zuhause ist, das er mehr liebt als jeden anderen Platz auf der Welt. Ich sog die Atmosphäre auf und lauschte den Geschichten des Seglers, obwohl ich noch schrecklich müde war – und auch Henner gähnte regelmäßig in seine Hände. Herbert nannte uns fortwährend »Leichtmatrosen«, aber in liebenswürdiger Konnotation. Schließlich zogen wir ab, es war kurz nach halb sieben, ich ging zurück in die Koje und nahm noch eine Mütze Schlaf. Herbert hatte mir zuvor seine Karte in die Hand gedrückt: Herbert Kopicz, Privatier , eine Handynummer. »Falls ihr mal Probleme mit dem Schiff habt, ruft Herbert an.«
»Wenn ihr diese Leute wiedertrefft, die euer Boot losgemacht haben«, rief er uns hinterher, grinsend. »Denkt dran, dass ihr einen Fäkalientank habt. Da sind Sachen drin, die nicht so gut schmecken, wenn man sie in einen Frischwassertank umpumpt.«
Wir verabschiedeten uns von den Kanubayern und brachen in Richtung Fürstenberg auf, passierten die Schleuse und in größtmöglichem Abstand sehr langsam den Charterstützpunkt, kamen ohne Verluste durch die Schleuse Steinhavel, ankerten für ein Bad und ein spätes Frühstück auf dem Menowsee und fuhren weiter nach Nordwesten, durch den Ziernsee und in den Ellbogensee. Der Verkehr hatte deutlich zugenommen, auf dem langgestreckten Ellbogensee – das tiefste Wasser bisher unterm Kiel, nämlich achtzehn Meter – herrschte fast Trubel. In der Nähe eines Ortes mit dem lustigen Namen »Priepert« (»Simon kann hier Priepert-Karten für seine ganzen Handys kaufen«, kalauerte Mark) stellte sich die Frage, ob wir Kurs auf die Müritz oder in Richtung Norden nehmen sollten. Wir entschieden uns für den Norden, auf die Müritz fuhren schließlich alle, außerdem hatte Herbert von monströsen Wartezeiten in dieser Richtung erzählt – fast drei Stunden an der Nadelöhr-Schleuse Strasen.
Simon nahm an keiner Diskussion teil und schwieg stoisch. Er rauchte wie ein Schlot, sogar für seine Verhältnisse unfassbar viel, zündete sich
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