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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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blauen – Boote auf die Wiese. Ein breit gebauter junger Mann mit schweißnassem FC-Bayern -Trikot ging an den festgemachten Schiffen entlang und musterte sie interessiert. Neben unserem blieb er stehen, just als ich dort ankam. Simon zog gerade zwei Mobiltelefone aus der Hosentasche und hielt sie prüfend, aber kopfschüttelnd in die Höhe. Der Mann im Bayerntrikot lachte leise, sah mich an.
    »Ihr wart das. Vor drei Tagen. Am Wasserwanderplatz, mitten in der Nacht.«
    Ich nickte.
    Simon sagte, weiter auf seine Handys starrend: »Ach du Scheiße.«
    »Jemand von euch heißt Simon, richtig? Und fährt möglicherweise einen alten Bulli?«
    Simme sah ihn irritiert an, dann wieder auf seine Telefone. »Nun auch noch die Polizei«, murmelte er erst. Und dann, zu dem Wasserwanderer gewandt: »Ich bin Simon.« Das kam etwas zögerlich, als wäre das ein Geheimnis, ein Pseudonym. »Und mein Täubchen ist ein Bulli, ja. Warum?«

    Korbinian und seine Freunde belegten den Grillplatz, als der Abend hereinbrach, und wir schlossen uns ihnen an, nachdem der junge Bayer erzählt hatte, was nach unserer Abreisevorgefallen war: Drei bullige Typen mit osteuropäischem Akzent waren lautstark durchs Gebüsch gebrochen, hatten die Gruppe aufgemischt und wiederholt nach einem »Simon« gerufen, schließlich sogar gebrüllt, als man ihnen mitgeteilt hatte, dass soeben ein Neuankömmling per Schiff abgedampft wäre, nach dem andere unter Nennung dieses Namens gerufen hatten. Die Osteuropäer – Russen oder Bulgaren oder so – tobten noch eine Weile, verschwanden dann – und wenig später ging weiter oben an der Straße ein Auto in Flammen auf: Ein Bulli – der Feuerschein, den ich noch gesehen hatte. Die Feuerwehr konnte fast nichts mehr retten. Und die Polizei – vermutlich auch die Kripo – wäre auch vor Ort gewesen, am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe, aber das hatten die Wasserwanderer nur beobachtet – sie verspürten nicht die geringste Lust, einen Teil ihres Urlaubs in muffigen Provinzrevieren zu verbringen, um Aussagen zu diktieren, die keinem weiterhalfen. Das immerhin erklärte die SMS, die Simon von seiner Mutter erhalten hatte, die – zu ihrem Glück – in Hamburg lebte, aber erleichtert war er nicht. Ganz im Gegenteil. Leichenblass und wiederholt »Mein Täubchen ! Mein Täubchen !« murmelnd, saß er am Feuer und brachte kaum die leckere Grillwurst herunter. Zwei der etwa zweiundzwanzigjährigen Mädchen aus Korbinians Runde betrachteten ihn mit bemutternden Blicken, und ich war kurz versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, ließ es aber, weil Simon der Sinn vermutlich nicht nach Mitleidssex stand. Henner und Mark legten ihm tröstend die Hände auf die Schulter, aber Simon schüttelte nur den Kopf, tankte Paulaner und rauchte zwei Schachteln in einer knappen Stunde.

    Wir beobachteten noch, wie das Boot der Prenzlauer-Berg-Familie kurz vor Eintreten der Dämmerung aus der Schleuse zurückkehrte, den Anlegeplatz beinahe passierte und schließlich eine freie Position weit vorne fand. Die Kinder ergossensich auf die Wiese, die Eltern folgten, kamen an uns vorbei, und der Mann war sichtlich versucht, den kleinen Streit fortzusetzen, wurde aber von der Frau sanft an der Schulter weggezogen. Wir tranken bayerisches Bier und aßen Grillwürste, bis die Sonne längst versunken war, krochen in die Kojen, ohne noch ein Feierabendbier zu inhalieren. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und ich mutmaßte, dass nicht wenige dem atheistischen Pfarrer galten. Okay, Simon dachte vermutlich vor allem an sein abgefackeltes Auto. Russen ? Wie konnte es sich ein Tapezierer und Rigipswände-Aufsteller mit Russen verscherzen? Und würden die jetzt uns verfolgen?

Tag 5:
Schamfilen
    Schamfilen – unerwünschtes
Scheuern von Tauwerk, Segeln
oder anderen Ausrüstungsgegenständen,
das zu vorzeitiger Abnutzung führt.

Der nächste Tag begann äußerst früh, im Dämmerlicht des neuen Morgens, also gegen fünf. Es rumpelte, Schritte auf dem Deck polterten herum, jemand rief mehrfach etwas. Ich kroch aus dem Bett, streifte ein Shirt über und ging nach oben, gefolgt vom tranigen Henner im Christen-Schlafanzug. Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, was ich sah: Unser Boot lag quer im Fluss, nicht weit von der Schleuseneinfahrt entfernt, dafür umso weiter von unserem Liegeplatz. Da stand ein gefühlt achtzig Jahre alter, intensiv gebräunter Mann, der von einem kleinen Beiboot aus an Bord geklettert war –

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