Leidenschaft in Rot
eine schwache Stimme. »Laß ihn rein.«
Ich trat ein, und die stämmige Frau machte mir Platz. Als ich sie bei Licht sah, stellte ich fest, daß sie jünger war, als ich angenommen hatte. Sie trug Jeans und ein blaues Arbeiterhemd, dessen Ärmel sie weit über die braunen, kräftigen Unterarme hochgerollt hatte. Ihre Haare waren braun und kurzgeschoren, und sie benutzte kein Make-up. Das Innere bestand aus hellem Sperrholz, Kunststofffliesen, Glasjalousien, Plastikpolstern und Edelstahl. Auf einer Tagesliege lag auf Kissen ein schmächtiges Mädchen, dessen lange, kupferrote Haare wirr in ein trauriges, bleiches Gesicht hingen. Ihre Augen waren gerötet, ihr Lippenstift verschmiert, und sie trug einen rüschenbesetzten Morgenmantel aus Nylon. In der Hand hielt sie einen Drink. Obwohl sie sehr viel dünner war, erkannte ich sie sofort.
»Whippy!« sagte ich und kam mir im gleichen Moment wie ein Idiot vor, weil ich nicht gleich darauf gekommen war.
Sie erschrak und schaute mich feindselig an. »Ich kenne Sie nicht. Ich kann mich nicht erinnern, Sie irgendwo schon mal gesehen zu haben. Ich werde jetzt Martha genannt. Pat hat nicht zugelassen, daß mich wer bei meinem alten Namen ruft.« Sie hatte etwas sehr Ernstes und Kindliches. Und Verletzliches.
»Entschuldigung. Ich werde Sie Martha nennen.«
»Wie heißen Sie?«
»Travis McGee.«
»Ich hab nie gehört, daß Patty Ihren Namen erwähnt hat.«
»Ich kannte sie nicht sehr gut, Martha. Ich kenne ein paar andere Leute, die Sie vielleicht auch kennen. Vance. Cass. Nancy Abbott, Harvey, Ritchie, Sonny.«
Sie nippte an ihrem Drink und schaute mich stirnrunzelnd über den Rand des Glases an. »Sonny ist tot, hab ich gehört. Ich hab gehört, daß er verbrannt ist, und es war mir total wurscht.«
»Nancy hat ihn verbrennen sehen.«
Sie schaute ungläubig. »Wie denn das?«
»Sie ist damals mit ihm herumgereist.«
Verwundert schüttelte sie den Kopf. »Die ist mit ihm rumgereist? Junge, Junge. Wer hätte das gedacht? Ich, klar. Aber sie? Oh Mann, kaum zu glauben.«
»Martha, ich möchte unter vier Augen mit Ihnen sprechen.«
»Das kann ich mir denken«, sagte das stämmige Mädchen hinter mir.
»Mr. McGee, das ist meine Freundin Bobby Blessing. Bobby, geh doch kurz mal raus, okay?«
Bobby taxierte mich. Es war der traditionelle Blick, den sie für echte Männlichkeit übrig haben. Eine herausfordernde Abneigung, ein rowdyhafter Widerwille. Es scheinen heutzutage immer mehr zu werden. Oder sie sind einfach mutiger geworden. Das Wort dafür ist Kesser Vater. Wenn sie schon weder Penis noch Bart haben, dann bemühen sie sich verdammt gut, alles andere aufzuweisen. Eins der sekundären Geschlechtsmerkmale, die sie sich anscheinend gut anzueignen in der Lage sind, ist das mackerige Verhalten, das verkrampfte Schulterschwenken, die gockelhafte Leck-mich-am-Arsch-Haltung. In letzter Zeit haben sie die bedrohliche Angewohnheit, in Scharen rumzurennen. Und der arglose Kerl, der versucht, eine ihrer Bräute anzubaggern, kann sich auf eine Tracht Prügel gefaßt machen, auf die ein Vollmatrose stolz wäre. Sie bilden schon lange eine Subkultur, aber in letzter Zeit kommen sie aus ihren Verstecken. In ihrer neuen Courage sind sie beängstigend gut beim Rekrutieren. Und den größten Erfolg haben sie in den wehrlosen Reihen duldsamer Mädchen wie Martha Whippler, die von Männern wie Sonny Catton mißbraucht werden. Die benutzt, mißbraucht, krank gemacht, herumgereicht, eingeschüchtert und ... am Ende ins Lager der Kessen Väter getrieben werden.
»Ich bleibe in Rufweite«, sagte Bobby, ohne ihren versteinerten Blick von meinem Gesicht zu wenden. Sie rollte mit den Schultern, zog die Jeans hoch und ging nach draußen.
Ich ging dichter zu Martha hin und setzte mich ihr halb zugewandt auf einen kümmerlichen Plastikstuhl. Sie schaute in ihr halb geleertes Glas. »Sie haben die Leute genannt, die damals dabei waren.«
»Und jemanden ausgelassen?«
»Die Filmschauspielerin«, flüsterte sie.
»Haben Sie jemandem davon erzählt, daß sie dort war?«
»Ach, sowas ist mir noch nie vorher passiert. Das konnt ich doch keinem erzählen. Das heißt, mit Pat konnte ich ab und zu drüber reden. Sie wissen schon. Ich hatte immer Alpträume. Sie hat mich von dort mit heimgenommen. Ich hab gewußt ... ich hab immer gewußt, daß es ihr lieber gewesen wär, es wär Nancy gewesen.«
Sie blickte bekümmert vor sich hin. Sie hatte ein billiges, nichtssagendes, hübsches Gesicht,
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