Leidenschaft in Rot
die Scheibe eines Herrenbekleidungsgeschäfts. Ich eilte hinein. Ein Verkäufer beriet sie. Sie warf mir einen erschrockenen, schuldbewußten Blick zu. »Liebling, ich hatte dir doch gesagt, daß ich deine Hemdengröße immer vergesse. Es ist ja so verdammt lästig, wenn man sein Gepäck verliert. Sind die da recht? Bügelfrei, da kommen wir mit zwei aus, meinst du nicht? Aber welche Größe, Liebes?«
»Vierundvierzigeinhalb, zweiundfünfzig«, sagte ich ergeben.
»Zwei in dieser Größe bitte. Und Stretchsocken machen dir doch nicht so viel aus, oder? Unterhosen Größe acht, mhm? Nein, nicht einpacken. Ich kann sie einfach hier reinstecken.« Sie stellte ihren kleinen Koffer auf den Tresen, ein billiges Ding aus blaßblauem Aluminium. Ich erhaschte einen Blick auf ein paar Frauenutensilien und ein paar Schachteln aus der Drogerie. Sie verschloß ihn und wartete auf das Wechselgeld.
»Wir haben in etwa fünfundzwanzig Minuten einen Flug«, sagte sie.
Ich trug den Koffer aus dem Laden in die Wartehalle. Ich brachte ihn an eine ruhige Stelle, stellte ihn ab und drehte mich zu ihr um. »Haben Sie Ihr bißchen Verstand verloren?«
Sie packte mein Handgelenk mit kräftigen, eiskalten Fingern und schaute zu mir hoch. »Es ist schon in Ordnung. Wirklich. Alles in Ordnung.«
»Aber ...«
»Ich konnte das Gepäck nicht zurückbekommen. Es war schon an Bord verstaut. In New York kümmert sich jemand darum. Schauen Sie. Ich bin schon seit einer ganzen Weile erwachsen.«
»Es ist nur so, daß ...«
»Sei still, Liebling. Sei still. Sei still. Sei still. Muß ich dir etwa alles bis ins einzelne erklären? Und schau nicht wie ein lendenlahmer Elch. Sag, daß du dich freust. Sag irgendwas.«
Ich legte eine Fingerspitze an ihre Wange und fuhr mit dem Daumen über ihre schwarz glänzende Augenbraue. »Okay. Irgendwas.«
Sie schloß die Augen und erschauerte. »Mein Gott. Keine Ansprüche, Trav. Nichts dergleichen. Von keiner Seite.«
»Von keiner Seite.«
»Lach bloß nicht.«
»Das weißt du doch besser.«
Ich konnte Verstörung in ihrem Blick lesen. »Vielleicht bin ich gar nicht, was du ... Vielleicht hast du nie wirklich ... Du hättest einfach nur höflich sein können, und jetzt ...«
»Das weißt du doch auch besser. Sei still, Liebes.«
»Ich habe nach New York telegrafiert.«
»Bitten Verspätung gütigst zu entschuldigen.«
»Verdammt, wir haben uns noch nie richtig geküßt. Meine Knie sind ganz schwach und wacklig. Bitte führ mich zu einem Drink, Liebling.«
Der betörende, unmittelbare Zauber mädchenhafter Weiblichkeit, ihr Duft, ihre Nähe, dunkle Augen, in denen man sich verlieren konnte, das atemlose Gefühl der Erwartung -trotz alledem bewegte sich der auf Arbeit abgestellte Bereich meines Verstandes in den alten, unerquicklichen Bahnen.
Wir hatten einen großen Umweg gemacht und einen nach dem ändern aus der Endabrechnung gestrichen. Carl Abelle, den Schrecken der Skilifte, gefährlich wie ein Trottel auf dem Idiotenhügel. Sonny Catton, geröstet in einem prächtigen Feuerball hochprozentigen Treibstoffs. Nancy Abbott ebenfalls gründlich geschmort, aber auf kleinerer Flamme. Die beiden Jungs von Cornell, Harvey und Ritchie, zu überprüfen war sinnlos. Deren größtes Problem war, überhaupt jemanden zu finden, der ihnen die Geschichte abnahm. Caswell Edgars hatte sich verabschiedet. Und zwar von fast allem auf der Welt. Ives war aus dem Rennen, und zwar mit Gewalt. Patty M’Gruder ebenfalls. Wenn der alte Abbott, Nancys Vater, noch ein klein bißchen Glück hatte, war er inzwischen auch tot. Mit weniger Gewalt, aber auch weniger angenehm. Es spitzte sich zu. Auf einen Yachtfan namens Vance M’Gruder, auf eine Kellnerin namens Whippy, auf einen schwachsinnigen kleinen Mann namens Bogen. Es war, als ginge man durch ein leeres Haus und durchsuchte die Schränke. Entweder war das Ganze so kompliziert, daß ich es mir nicht vorstellen konnte, oder nicht, aber dann ergab alles noch weniger Sinn. Aber irgendwo steckte darin etwas Böses, das außer Kontrolle geraten war. Das spürte ich, und ich spürte, daß es gegen Lysa Dean gerichtet war, und vielleicht gegen mich, und ich konnte mir nicht denken, was oder wer es war. Ich wußte nur zwei Dinge. Mir gingen die Schränke aus. Und ich war froh, daß ich nicht bei dieser Party dabeigewesen war. Also hielt ich die Hand des Mädchens fest und redete mir ein, die Welt sei schön, und verscheuchte meine düsteren Gedanken.
Ein gelangweiltes
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