Leidenschaft zum Dessert
markanten Züge in ein unheimliches Licht.
„Wie heißen sie? Leben sie noch im Oman?“ Sie wollte ihn aus seiner Zurückhaltung herausholen und so viel wie möglich über ihn erfahren. Aber als er erstaunt aufblickte, kamen ihr ihre Fragen plötzlich ungehörig neugierig vor. Sie war schon wieder ins Fettnäpfchen getreten.
Kazim schwieg einen Moment, und der Ausdruck in sei nen Augen war nun seltsam verletzlich. Dann sagte er leise: „Quasar, mein jüngerer Bruder, ist Finanzberater in New York. Er war früher der wildeste von uns Jungen. Er forderte mich zu Rennen auf den kostbaren Kamelen unseres Vaters heraus, versteckte Insekten in den Kleidern der Frauen, um sie zum Schreien zu bringen.“ Er lächelte flüchtig. „Er ist auch jetzt noch zu verrückten Streichen aufgelegt, aber jetzt lese ich darüber in den Zeitungen.“ Seine Miene wurde wehmütig und dann wieder ernst. „Ich würde ihn gern öfter sehen, aber wir haben beide viel zu tun.“
Er berührte flüchtig ihren Arm, als er nach neuem Feuerholz griff, und Sara hielt erregt den Atem an. Kazim blies wieder in das Feuer, und Sara sah ihm fasziniert dabei zu. Sie nahm seinen Duft wahr – eine aufregende Mischung aus Rasierwasser, Seife und Mann.
Mühsam riss sie den Blick von seinem kräftigen Arm los. Zu ihrer Erleichterung schien Kazim sich nicht bewusst zu sein, welche Wirkung er auf sie hatte, denn als er sich wieder setzte, war seiner Miene nichts anzumerken.
„Mein älterer Bruder Salim übernahm die Geschäfte von meinem Vater, als der starb.“ Er sah nachdenklich in die Dunkelheit. „Ich nehme an, er wäre lieber in Amerika geblieben.“ Er wandte Sara wieder das Gesicht zu. „Er war hier auf dem College wie wir alle. Aber er ist sehr pflichtbewusst und würde sich niemals vor einer Verantwortung drücken. Er ist ein guter Mann, und auch er ein sehr beschäftigter. Ich habe mich daran gewöhnt, fern von meiner Familie zu leben, als ich noch im Internat war.“
„Ihre Brüder sind nicht auf dieselbe Schule geschickt worden?“
„Nein. Quasar ging in Europa zur Schule, Salim hatte einen Privatlehrer zu Hause.“
„Dauert es lange, bis man sich daran gewöhnt hat, von seiner Familie getrennt zu sein? Meine fehlt mir schrecklich. Es ist erst einen Monat her, ich weiß, aber …“ Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht in Tränen auszubrechen. Sie war müde und auch emotional erschöpft von einem langen, ereignisreichen Tag.
„Sie waren noch nie von zu Hause fort?“
Sie schüttelte den Kopf und konnte nicht verhindern, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten.
„Ich habe mich sehr lange jede Nacht in den Schlaf geweint“, antwortete Kazim. „Ich fühlte mich wie eine Seite, die man aus ihrem Buch gerissen hatte, wie eine Sammlung von Worten und Sätzen, die keinen Sinn mehr ergaben. In meinem Land ist die Familie alles. Wir leben zusammen, essen zusammen, schlafen zusammen. Dass man mich so plötzlich von den Menschen getrennt hat, mit denen ich Tag und Nacht zusammen verbracht hatte – ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es mich fast umgebracht hätte.“
„Wie schrecklich.“ Sara schüttelte entsetzt den Kopf. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für Sie gewesen sein muss. Bei mir war es wenigstens meine eigene Entscheidung. Ich bin gegangen, weil ich mein eigenes Leben führen wollte.“
„Ich verstehe.“ Seine tiefe Stimme schien sie einzuhüllen und sie genauso zu wärmen wie das Feuer, das er gemacht hatte. „Ich habe die gleiche Entscheidung noch mal getroffen, als ich später meine Heimat als Erwachsener verließ und mich in Amerika niederließ. In gewisser Hinsicht schmerzt es sogar noch mehr. Man kann niemandem die Schuld an seiner Einsamkeit geben als sich selbst.“ Er senkte den Blick. „Aber mit der Zeit heilt selbst eine Wunde, die man sich selbst beibringt.“
Der gequälte Ausdruck in seinen Augen allerdings besagte genau das Gegenteil. Und in diesem Moment erkannte Sara, dass Kazims Einsamkeit ein Schmerz war, den er womöglich niemals überwinden würde.
Ohne zu überlegen, streckte sie die Hand aus und berührte seinen Arm. Kazim zuckte zusammen, als hätte ihn et was gestochen, und Sara wollte ihn hastig loslassen, aber er packte ihre Hand und hielt sie fest. In seinen dunklen Augen lag etwas Beschwörendes, als er sie ansah. „Einsamkeit ist der Fluch der Menschen. Sobald sie den Leib ihrer Mutter verlassen, sind sie zur Suche nach dem Gefühl des sorglosen
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