Leipziger Affären - Kriminalroman
der Spalte zwischen Sitz und Mittelkonsole und blätterte darin herum. Die Redakteure mussten seine Gedankengänge geahnt haben. Auf Seite drei sprang ihm eine fette Schlagzeile entgegen: »Citytunnel-Kostenexplosion«. Na bitte! Bei einem Tunnel, für den statt einer halben Milliarde mittlerweile fast das Doppelte zu zahlen war, bleibt nichts für Straßenreparaturen übrig. Scheißspiel!
»Was Neues über König?«, fragte Leonhardt und steckte sein Handy in die Tasche.
»Nichts.«
»Die Nachrichtensperre funktioniert ausnahmsweise mal gut.«
Henne faltete die Zeitung zusammen. »Der Alte wird sich freuen, dass er in Ruhe gelassen wird.«
Wenn die Zeitungen gleich zu Beginn eines Mordfalles Vermutungen als Wahrheit hinstellten, kam Schuster jedes Mal in Bedrängnis. Hektisch einberufene Pressekonferenzen waren die Folge.
Leonhardt stieg aus. Henne tat es ihm gleich und streckte sich. Seit einigen Tagen spürte er seinen Rücken, wenn er zu lange herumhockte. Bewegen solle er sich, hatte Kienmann geraten. Zum Teufel, als ob er nicht schon genug herumrennen würde.
Zum hundertsten Mal nahm er sich vor, endlich die gepolsterte Sitzmatte, die ihm Erika geschenkt hatte, auf dem Fahrersitz anzubringen. Als er den Mercedes gekauft hatte – gebraucht natürlich, denn er weigerte sich, mehr Geld auszugeben, nur damit der Kilometerstand in der Nähe der Null pendelte –, hatte er nicht bemerkt, wie unbequem die Sitze waren. Er hatte sich nicht einmal vorstellen können, dass ein Mercedes überhaupt unbequeme Sitze haben könnte. Sein Rücken und der Werkstattmeister hatten ihn eines Besseren belehrt. Ein Hochdachkombi hatte eben nichts mit einem Nobelschlitten gemein, ausgenommen den dreizackigen Stern.
Das Backsteinhaus hatte mehrere Eingangstüren. Henne und Leonhardt entschieden sich für die größte und traten ins Innere. Einem Wegweiser entnahmen sie, dass sie das Büro des Firmenchefs im ersten Stock finden würden.
»Nett hier«, sagte Leonhardt und zeigte auf die Aquarellzeichnungen an den hellgrün gestrichenen Wänden des Treppenhauses.
Henne brummte etwas in seinen Bart. Sein Rücken fühlte sich an, als wäre ein Bulldozer darübergerollt.
Selling begrüßte sie in seinem Büro, einem etwa vierzig Quadratmeter großen Raum, der kahl und ungemütlich wirkte. An der Fensterseite befand sich ein riesiger Tisch, um den Stahlrohrstühle angeordnet waren. Henne zählte zwanzig Stück. An den übrigen Wänden standen Schränke, an denen man die Türen abgeschraubt hatte. Henne erkannte Ordner und Rollen. Bauzeichnungen, mutmaßte er.
In der Ecke fristete ein verkümmerter Ficus sein Leben.
Selling selbst war ein untersetzter Mann mit beginnender Glatze und einem traurigen Gesicht. Unter seinen Augen hingen Tränensäcke, vermutlich Ausdruck von zu wenig Schlaf. Er bat die Kommissare an den Tisch. Gleich darauf kam seine Sekretärin herein und brachte Kaffee.
»Greifen Sie zu«, sagte die mütterlich wirkende Frau. »Das ist Kaffee aus Äthiopien. Der ist zwar teuer, schmeckt aber.«
Während Henne trank, stellte er sich vor, wie er schweißüberströmt und mit gebeugtem Rücken auf einer Plantage schuftete. Gut möglich, dass das sein Los gewesen wäre, wenn er wie sein Vater in Äthiopien leben würde.
»So, meine Herren. Wo drückt der Schuh? Ist mit unserer Ware etwas nicht in Ordnung?« Augenscheinlich hielt Selling sie für Kunden, denen er etwas geliefert hatte.
Henne zückte seinen Ausweis. »Oberkommissar Heine, Heinrich Heine. Wie der deutsche Dichter, aber ich halte es mit der Wahrheit. Neben mir Kommissar Leonhardt. Wir haben einige Fragen an Sie.«
Sellings Lächeln erstarb.
»Wir ermitteln im Todesfall König. Man sagte uns, Sie wären befreundet gewesen. Richtig?«
Selling nickte. Es wirkte mechanisch. Er schien durch Henne hindurchzusehen.
Henne fragte sich, woran ein Mann denken mochte, den die Kripo wegen seines ermordeten Freundes aufsuchte.
»Außerdem haben Sie seine Baustellen beliefert. Ebenfalls richtig?«
Wieder nickte Selling, dann runzelte er die Stirn.
»Was genau haben Sie ihm geliefert und in welchem Wert?«
»Ich wüsste nicht, was das mit Dankwarts Tod zu tun haben könnte.«
»Bitte beantworten Sie meine Frage.«
Auf Sellings Wangen breiteten sich rote Flecken aus. »Er hat Baumaterial bekommen. Eisenträger, Steine, Zement.«
»Etwas genauer, bitte. In welchem Umfang? Wie hoch sind die Rechnungen?«
Selling verschränkte die Arme. »Sind Sie von der Kripo
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