Leipziger Affären - Kriminalroman
sagen, vergiss sie einfach. Aber ob das hilft?«
Eine Weile brüteten beide vor sich hin. Nur das Ticken der Uhr an der Wand unterbrach die Stille.
»Ich werde sie nicht wiedersehen. Leonhardt kann sie übernehmen«, sagte Henne schließlich. Kienmann schaute ihn an, als hätte er soeben beschlossen, zu sterben. Er musste bitterer als beabsichtigt geklungen haben.
Als Henne sein Büro betrat, sah er Miriam auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch sitzen. Ihr gegenüber hantierte Frank Diener mit einem Blatt Papier.
»Hübsches Zimmer«, begrüßte ihn Miriam.
Verdammt, er hatte sie doch für morgen bestellt. Was wollte sie hier? Womöglich konnte sie es nicht erwarten, ihr Gewissen zu erleichtern. Blöd, dass er Leonhardt auf Außendienst geschickt hatte.
Unbehagen kroch in ihm empor. Unwillig schüttelte er es ab. Der Tag konnte gar nicht schlechter werden, als er ohnehin schon war. »Ich übernehme.« Er nickte Frank zu und wartete, bis der den Raum verlassen hatte.
»Ich sehe, ihr habt euch bekannt gemacht«, sagte er zu Miriam, als sie allein waren.
»Der junge Mann hat mich auf dem Flur abgefangen. Rührend, wie zuvorkommend er war.«
»Du bist offiziell vorgeladen. Für morgen.« Henne legte bewusst einen strengen Ton in seine Worte. Er duldete nicht, dass sich jemand über seine Leute lustig machte.
»Ich habe mich schon gefragt, wie lange du warten willst, bis du mich vorlädst.« Sie strich eine Falte aus ihrem Seidenrock. Offensichtlich hatte sie sich für den Besuch in der Polizeidirektion extra hübsch gemacht.
»Nur zur Sicherheit. Wir müssen jeder Spur nachgehen.«
»Bin ich eine deiner Spuren?«
»Ja.«
Miriam lächelte, und Hennes Unmut schmolz dahin. Sein Herz klopfte.
»Ich sehe das folgendermaßen«, sagte sie. »Ich bin die verlassene Geliebte, bekomme Schmerzmittel und nehme Drogen, hin und wieder zumindest. Das spricht gegen mich. Für mich spricht, dass ich ihn wirklich geliebt habe. Durch seinen Tod habe ich ihn endgültig verloren. Als Mann und gleichzeitig als Geschäftspartner. Keine Liebe, keine Aufträge.« Ihr Lächeln wurde breiter. Sie zwinkerte ihm zu. »Pari – pari, mein Lieber.«
»Deine Logik hinkt.« Henne lächelte zurück. »Du hattest König bereits verloren. Tot oder lebendig, das ist egal, er hatte dich ja ohnehin verlassen. Du kennst dich auf dem Baugelände aus. Und du hast vermutlich aus der Geschäftspartnerschaft keinen großen Gewinn gezogen. Oder irre ich mich?«
»Du hast recht«, gab Miriam freimütig zu. »Dankwart hat mich für meine Arbeit nur sporadisch bezahlt. Wenn, dann allerdings ausgesprochen großzügig.«
»Eine Frau wie du und dieser König. Ich verstehe einfach nicht, wie das zusammenpassen soll.«
»Du bist eifersüchtig.« Sie lachte leise.
Ihre Worte gaben Henne einen Stich ins Herz. »Selbst wenn es so wäre, beantwortet es meine Frage nicht. Also?«
Miriam stand auf und ging zum Fenster. Sie sah hinaus. Henne konnte ihren Atem hören. Ihre Hände strichen unruhig über den Stoff ihres Rockes. Schließlich drehte sie sich um. »Mir ist es nicht immer gut gegangen. Im Grunde ist es mir richtig dreckig gegangen in den letzten Jahren. Keine Wohnung, keine Aufträge, keine Familie. Dankwart hatte Mitleid. Obwohl ich eine Fremde für ihn war, hat er mich aufgenommen und mir ein neues Leben verschafft.«
»Und dafür bist du seine Geliebte geworden?«
»Zuerst aus Dankbarkeit. Ich bin stolz, ich wollte mich bei ihm erkenntlich zeigen. Ich wollte nicht immer bloß nehmen.« Sie kam zurück an den Tisch und setzte sich. »Er war ein viel besserer Mensch, als manche meinen.«
»Manche?«
»Gordemitz oder Heiligenbrand, das Frettchen. Selling, Alexa. Nimm, wen du willst. Keiner von denen hat Dankwart richtig gekannt.«
Außer ihr, das wollte Miriam wohl damit sagen. Henne rieb sich seine Narbe.
»Er war ein starker Mensch, er hatte Visionen. Er glaubte an das, was er tat. Seine Kollegen in der Baubranche haben ihn oft ausgelacht. Als unwissenden Träumer haben sie ihn hingestellt. Als einen, dem es nur um Ruhm und Erfolg geht und der sich einen Platz neben den Mächtigen ersehnt. Alles Quatsch.« Sie wühlte in ihrer Tasche und zerrte ein Taschentuch heraus. Es war zerknittert und schmutzig.
Henne bemerkte Spuren von Lippenstift auf dem Stoff. Rot, die Farbe der Liebe. Sein Mund war auf einmal ganz trocken.
Miriam wischte sich eine Träne ab und hinterließ dabei einen blassroten Streifen auf ihrer Wange. »Dankwart war
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