Leipziger Affären - Kriminalroman
in den Nacken. Ein ausgestopfter Hirschkopf hing über dem Tresen. Seine Glasaugen glänzten böse im spärlich durch die Fenster fallenden Sonnenlicht. Vermutlich missbilligte er die Tatsache, dass sich ein Kripo-Bulle wie ein Quartalstrinker besoff. »Prost«, sagte Henne und hickste leise.
Drei Stunden später war er so blau, dass er kaum noch stehen konnte. Der Zehnender schaute verbiestert, als Henne trotzdem ein weiteres Glas forderte.
»Nichts da«, wehrte Willy ab. »Du hast genug. Ich hätte dir schon nach dem achten Schnaps keinen mehr ausschenken dürfen.«
Henne grunzte und hielt sich am Tresen fest. »Deine verdammte Bar ist schief«, lallte er und sackte nach unten.
Willy schleppte ihn zu einem Stuhl, doch Henne wollte nicht darauf sitzen bleiben. Nach mehreren vergeblichen Versuchen ließ ihn Willy schließlich zu Boden rutschen und rief Erika an.
Die kam, so schnell sie konnte. »Männer«, schimpfte sie. »Kannst du nicht besser auf ihn aufpassen?«
Willy tat, als hätte er die Frage nicht gehört, und wischte imaginäre Stäubchen von der Theke. Er hatte wohl nicht vor, sich von Erika verantwortlich machen zu lassen. Dennoch erbarmte er sich und half ihr, Henne in den Wagen zu verfrachten. Henne bekam davon kaum etwas mit. Er schnarchte wie eine Rotte Wildschweine auf der Suche nach den letzten Wintereicheln.
Erika brachte Henne Rollmops mit saurer Gurke ans Bett, dazu ein großes Glas Milch.
»Das kriege ich niemals herunter.«
»Gib dir Mühe.« Sie ließ ihn sofort wieder allein.
Henne hatte die Falten über ihrer Nasenwurzel bemerkt. Die hatte Erika immer, wenn sie wütend war. Keine Frau freute sich, wenn sie ihren Mann sturzbesoffen aus der Kneipe holen musste. Er würgte den Fisch hinter und trank die Milch. Dann schlief er wieder ein.
Zwei Stunden später erwachte er erneut. Erstaunt stellte er fest, dass es ihm schon viel besser ging. Ausgeschlafen und unternehmungslustig ging er in die Küche, wo Erika in den Töpfen rührte.
Flüchtig küsste er sie auf den Kopf, dann griff er nach der Zeitung. Bei den Todesanzeigen verharrte er.
»Hör dir das an: ›In Ehren an den teuren Verblichenen‹. Oder das: ›Ein gütig Herz ist von uns gegangen‹. Wenn man das liest, muss man ja denken, dass nur die Guten wegsterben. Die Schweinehunde scheinen am Leben zu bleiben.«
»Auch andere Leute lügen.« Erika nahm einen Deckel aus dem Schrank und schlug die Tür zu, ehe die übrigen Deckel herausrutschen konnten. Um ihren Mund lag ein grimmiger Zug.
Henne erstarrte. Ahnte Erika etwas? Hatte er sich verraten? Gleich darauf schalt er sich. Wahrscheinlich sah er schon Gespenster.
»Hier, die Annonce über König.« Er strich die Zeitung glatt und las laut: »›Mit großem Schmerz nehmen wir Abschied von einem lieben Mann, herzensguten Bruder und treusorgenden Menschen. Dankwart König war für alle eine Bereicherung und wird unvergessen in unseren Herzen bleiben‹.« Er legte die Zeitung beiseite. »König war das ganze Gegenteil.«
Erika hatte sich offenbar vorgenommen, ihr gesamtes Gewürzarsenal ins Essen zu rühren. Es roch nach Kümmel, Knoblauch und Kräutern, die Henne nicht kannte. Als sie besonders heftig Pfeffer in einen Topf streute, musste er niesen.
»Über Tote redet man nun mal nur Gutes«, sagte Erika.
Das hatte Heiligenbrand auch gesagt. Trotzdem stank Henne die ganze Heuchelei gewaltig. »Ich mache mit Dschingis eine Runde«, brummte er.
»Bleib nicht zu lange, wir wollen pünktlich essen. Ulrike kommt.«
Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Erikas strenge Freundin hatte für alles Prinzipien, die sie nicht müde wurde, kundzutun. In ihrer Gegenwart fühlte er sich oft wie ein Schuljunge. Bestimmt wusste sie schon, dass er gestern über die Stränge geschlagen hatte. »Ich muss noch ins Büro. Am besten, ihr fangt ohne mich an.«
Ehe Erika protestieren konnte, war er aus der Tür.
Obwohl sich die Sonne hinter einem ausladenden Wolkenfeld verkrochen hatte und es jeden Moment zu regnen anfangen konnte, ging Henne zu Fuß. Er streckte die Nase in den Wind. Das Fauchen und Zerren des Windes gefiel ihm. Er stellte sich vor, er wäre ein Baum und der Wind pustete alles aus ihm heraus, vor allem den Gedanken, dass er eine Frau wie Erika nicht verdiente.
Dschingis trottete gelangweilt neben ihm her. Plötzlich tappte ein Dackel um die Ecke. Bevor Henne überhaupt wusste, wie ihm geschah, hatte sich Dschingis losgerissen.
Der Dackel flüchtete querfeldein über Straßen
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