Leipziger Affären - Kriminalroman
Gesicht. Die Narbe puckerte einen leisen Protest.
Die leere Tube warf Henne in den Papierkorb. Eine Spende für die Mädels vom Reinigungsteam, auch wenn die wieder meckern würden. Recycling wurde in der Polizeidirektion großgeschrieben.
Henne nahm sich den Ordner gründlicher vor. Er studierte Zeile für Zeile, ging alle Auszüge durch, jede einzelne Kontenbewegung. Ab und zu notierte er einen Namen – Zahlungsempfänger, auf die er später zurückkommen wollte.
Er schaltete den Computer an und loggte sich ein. Mühsam tippte er sich durch das Netz bis zur Internetseite der Stadtverwaltung. Henne mochte die Arbeit am PC nicht. Kripoarbeit war Handarbeit, so hatte es ihm sein alter Ausbilder und Freund Gerald Sternburg beigebracht. Sternburg war vor einigen Jahren einer Herzattacke erlegen. Bis zuletzt hatte er nicht begreifen wollen, welchen Vorteil moderne Kommunikationsmittel boten. Hätte er ein Handy gehabt, könnte er noch leben. So jedoch hatte man ihn erst gefunden, als es zu spät gewesen war. Bei Henne hatte Sternburgs Tod ein Umdenken bewirkt, obwohl er nach wie vor nur ungern am Monitor hockte.
Glücklicherweise war der technikbegeisterte Leonhardt anders, sie ergänzten sich gut. Dumm, dass Leonhardt das Wochenende genießen konnte, während er selbst im Aktenmief hockte.
Es dauerte geraume Zeit, bevor er sich auf der Website zurechtfand und in die einzelnen Ämter klickte. Namen sprangen ihm entgegen, Funktionsbezeichnungen, Titel. Keiner stimmte mit Königs Zahlungsempfängern überein. Eigentlich hatte er auch nicht damit gerechnet. Das wäre zu leicht gewesen. Es half nichts, er musste die Leute vor Ort unter die Lupe nehmen.
Arbeit für morgen. Eher fand ein Eisbär in die Wüste, als ein Beamter sonntags an seinen Arbeitsplatz.
SECHS
Fleur schlängelte sich den engen Gang in ihrem Schlafzimmer entlang zum Fenster. Rechts und links stapelten sich Berge von Kleidungsstücken und ausrangiertem Hausrat. Ihr Drachenhort, wie ihn Dankwart früher mit einem gehässigen Unterton genannt hatte. Beim Zuziehen der Gardine fiel ihr Blick nach draußen. Alexa und ein Mann standen am Tor. Fleur kniff die Augen leicht zusammen, der Kerl schien jung zu sein, doch genau konnte sie es nicht erkennen, sie standen zu weit weg. Jetzt legte er den Arm um Alexa und zog sie an sich, als wären sie ein Paar. Dankwart war kaum kalt, da zerrte sich das Flittchen schon einen anderen ins Bett. Sie musste sich die beiden aus der Nähe betrachten. Irgendwo musste ihr Fernglas sein.
Fleur sprang auf und begann, Tüten und Taschen auf die Spiegelkommode zu stapeln. Dort türmten sich bereits Berge von Klamotten. Der Stapel kam ins Schwanken, kippte und alles landete auf dem Boden. Achtlos schob sie das Zeug mit dem Fuß zusammen und kletterte darüber hinweg. Wo steckte das Fernglas bloß? Vielleicht im Schrank?
Der Kleiderschrank, der eine Seite des Zimmers einnahm, war bis in halber Höhe mit Sachen verstellt. Geschirr, Kleidung, Haushaltsgeräte, Kosmetika, Essensreste. Schatz über Schatz, unmöglich, auch nur einen Bruchteil davon wegzuräumen. Auch wenn das Fernglas wirklich im Schrank war, kam sie nicht an es heran.
Sie hielt die Armbanduhr ans Ohr und lauschte. Das leise Ticken beruhigte sie. Die Erde drehte sich weiter, Dankwarts Tod konnte sie nicht aufhalten. Sie ließ den Arm sinken und starrte vor sich hin. Wenn sie nur das verdammte Fernglas finden könnte. Sie kratzte sich über das Kinn.
Zornig kickte sie einen Teddybären vom Bett. Er kullerte in die Ecke zwischen Tür und Schrank und glubschte sie aus vorwurfsvollen Augen an.
»Blödes Vieh«, murmelte sie und warf eine Decke über ihn.
Ein dünner, kalter Faden aus Schweiß rann zwischen ihren Schulterblättern den Rücken hinab. Sie zitterte, sie musste sich ausruhen. In letzter Zeit kamen die Anfälle öfter. Erst das Beben, dann dieses Zucken. Sie war nie sicher, wo es sie erwischen würde. Diesmal hatte es am Kinn begonnen. Ein Brennen und Kribbeln, als wäre sie in Brennnesseln gefallen. Obwohl sie meinte, das Blut unter ihrer Haut würde pulsieren, war nichts zu sehen.
Vorsichtig setzte sie sich auf die Bettkante. Hinlegen war ausgeschlossen. Matratzen, Bettzeug und noch mehr Tüten waren zu einer Schicht aufgehäuft, die ihr im Stehen bis an die Hüfte reichte, das Ergebnis ihrer Sammelwut, der sie seit einem Jahr ungehindert frönte. Die Putzfrau hatte von einem Tag auf den anderen gekündigt. Sie war wohl vor diesem Biest von Alexa
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