Leipziger Affären - Kriminalroman
und Fußwege und verschwand im Nirgendwo der Häuserschlucht.
»Gönnse denn nich offbassn? So enne Bestsche müssn Se nu ma festehaltn«, schimpfte die Besitzerin des Dackels.
Henne entschuldigte sich wortreich. Dschingis sabberte indessen der Dame auf die blank geputzten Pumps.
Die Glocken der nahe gelegenen Lutherkirche kündigten vom Ende des Gottesdienstes. Die Dame schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Gottchen nee, ich muss de Oma Finke abholn, und dr Daggel muss dabei sein. Sonst gibt das ä Donnerwedder, das glom Se mir nich.«
Henne war bereit, alles zu glauben. Hauptsache, die Dame zog endlich ab. »Dort habe ich eben den Hund gesehen«, sagte er und deutete hinter sie.
Sofort drehte sie sich um und hastete um die Ecke des Hauses.
Um der Dame nicht noch einmal in die Arme zu laufen, nahm Henne einen Umweg über das Scheibenholz in Kauf. Hier drängten sich an schönen Tagen Mütter mit Kinderwagen, Radfahrer, Skater und Ausflügler. Heute waren außer ihm nur zwei Jogger unterwegs. Als sie ihn überholten und dabei außerordentlich frisch wirkten, nahm er sich zum wer weiß wievielten Mal vor, ebenfalls regelmäßig Sport zu treiben. Er konnte Erikas Ermahnungen, dass er etwas gegen seinen Bauch unternehmen solle, schon nicht mehr hören.
Als sie das Eingangsportal der Polizeidirektion erreichten, fielen die ersten Tropfen. Schnell zog Henne seinen Schlüssel aus der Hosentasche. Das Schloss war alt, es hakte ab und zu. Er hatte Mühe, die altertümliche Tür zu öffnen. Es dauerte geraume Zeit, ehe er es geschafft hatte. Währenddessen tropfte ihm der Regen in den Kragen.
Sie nahmen die Treppe und hinterließen auf den Stufen nasse Spuren. Im Büro verzog sich Dschingis sogleich unter Leonhardts Tisch. Leonhardt musste gekrümelt haben, Henne hörte den Hund knuspern und schlappern. Die Putzfrauen sollten dankbar sein.
Henne setzte die Kaffeemaschine in Gang und rückte einen Stuhl ans Fenster. Lange Zeit schaute er einfach nur hinaus und dachte über den Fall König nach. Finde das Motiv, dann hast du den Mörder. Die älteste Polizistenweisheit der Welt.
Selling, Alexa König und Miriam. Jeder von ihnen hatte einen Grund, den Toten zu hassen. Heiligenbrand und Gordemitz hätten auch ein Motiv, doch sie gewannen nichts durch seinen Tod. Im Gegenteil. Blieben noch seine restlichen Angestellten.
Henne stand auf und ging an den Schrank. Die Tür klemmte und flog auf, als er an ihr ruckte. Er musterte die Ordner, die all das enthielten, was die SoKo zwischenzeitlich sortiert hatte. Zehn Stück waren es mittlerweile.
Wahllos griff er sich einen heraus. Nichts als Rechnungen – Reinigung, Schuhe, Krawatten. Henne legte den Ordner bald beiseite. König hatte offenbar alles aufgehoben. So ein ordentlicher Mensch musste doch auch irgendwo seine Kontenübersichten aufbewahrt haben.
Henne wühlte die Ordner durch. Je länger er brauchte, umso ungeduldiger wurde er und schimpfte vor sich hin. Warum gab es kein Inhaltsverzeichnis? Das musste geändert werden, gleich morgen.
Im vorletzten Ordner wurde er fündig. König hatte fünf Konten, alle bei unterschiedlichen Banken. Henne blätterte die Kontoauszüge durch, die letzten fehlten. Doch auch so war klar, König stand überall in der Kreide.
Henne goss sich einen Kaffee ein. Wie funktionierte ein Bauunternehmen, das über keinerlei Mittel verfügte? Wie kam es überhaupt an Aufträge heran, noch dazu von der Stadt? Die Beamten hatten ihre Vorschriften, und sie achteten strikt darauf, dass diese eingehalten wurden. Gute Referenzen der Auftragnehmer waren eine Voraussetzung für die Vergabe von Bauaufträgen. Aber woher bekam jemand, der Schulden hatte, eine gute Referenz?
Nachdenklich massierte Henne seine Narbe. Neulich hatte ein Fernsehsender kritisch über einen Abfallentsorgungsskandal im Leipziger Umland berichtet. Von Schmiergeld war die Rede gewesen. Oder die Geschichte bei den städtischen Wasserwerken, deren Geschäftsführer dubiose Finanzwetten eingefädelt hatte. Auch da waren Gelder in private Taschen geflossen.
Er kramte in der Schublade. Zwischen Bleistiftstummeln, einer angefangenen Packung Papiertaschentücher, Würfelzucker und einer Handvoll Löffel – Mitbringsel aus der Kantine – fand sich eine zerquetschte Tube. Er drückte den kärglichen Rest der Salbe heraus und fluchte, als er auf dem Schreibtisch landete, direkt neben Königs dickem Sparkassenminus. Henne kratzte die Salbe vom Blatt und schmierte sie sich ins
Weitere Kostenlose Bücher