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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Hoffnungslosigkeit.
    Wie auf ein Stichwort drückte der Hubschrauberpilot die Nase der Maschine nach vorn und ging in Steigflug. Zehn Meter, zwanzig Meter, dreißig. Der Pilot hielt die Maschine so, dass die Luke unablässig dem Boot zugewandt war. Bald darauf sah Alex den Grund dafür.
    Tarver hatte das Gewehr zur Hand genommen und kniete nun in der Tür, während er auf Alex’ Brust zielte. Eine weit entfernte Stimme in ihrem Kopf schrie: Lass dich fallen! In Deckung!, doch ihr Körper war wie erstarrt. Wenn sie ihr Versprechen gegenüber Grace nicht erfüllen konnte – was für eine Rolle spielte da noch ihr eigenes Schicksal? Sie würde Jamie hinterherschauen, bis er verschwunden war, egal was es sie kostete. Wenn Grace sie in der nächsten Welt zur Rechenschaft zog, konnte sie zumindest sagen, dass sie alles versucht hatte.
    Während Alex auf den Mündungsblitz wartete, sah sie einen weißen Fleck vor Tarver herabfallen. Das Bettlaken? Nein, das lag achtlos weggeworfen hinter ihr auf Deck. Dann sah sie Jamies Gesicht neben dem flatternden weißen Etwas. Er hatte die dünnen Ärmchen um Tarvers Hals geschlungen. Als der Schwarze in der Tür auftauchte und Jamie packen wollte, ruckte einer der kleinen Arme herum und zog irgendetwas straff.
    Der Jutesack, erkannte Alex. Die Zugschnur!
    Tarver begann wild um sich zu schlagen, und das Gewehr segelte aus der Tür. Der Doktor sah aus wie eine Vogelscheuche, die von einem irre gewordenen Puppenspieler bewegt wurde. Er verschwand im Innern der Kabine und taumelte gegen den Piloten. Der Helikopter machte einen Satz zur Seite. Der Steigflug endete; stattdessen drehte die Maschine sich um die eigene Achse, dreißig Meter über dem Wasser. Als die Tür wieder in Sicht kam, segelte der gelbe Pelican-Case heraus, gefolgt von dem Schwarzen. Er vollführte zwei langsame Überschläge in der Luft und verschwand im aufgewühlten Wasser.
    Der Helikopter drehte sich weiter. Als die Luke das nächste Mal in Sicht kam, sah Alex erneut Tarver in der Tür. Er hatte den weißen Sack mit beiden Händen gepackt und riss ihn sich gewaltsam vom Hals. Ein dickes schwarzes Tau hing an seiner Wange. Alex erschauerte, als ihr klar wurde, dass es eine der Wassermokassins war, die ihre fünf Zentimeter langen Fänge in sein Gesicht geschlagen hatte. Tarver riss die Schlange ab und schleuderte sie nach draußen. Das Tier schien für einen Moment in der Luft zu hängen, ehe es heftig zappelnd der Wasseroberfläche entgegenstürzte.
    Als Tarver sich wieder ins Innere des Hubschraubers warf, sackte die Maschine drei Meter durch, und Jamie schoss wie eine Kanonenkugel durch die offene Tür nach draußen. Alex schrie entsetzt, doch dann sah sie, dass es ein kontrollierter Sprung war. Jamie zappelte nicht wie der Schwarze, der vor ihm über Bord gegangen war, sondern fiel gerade, mit den Füßen zuerst. Siebzig Meter vom Boot entfernt landete er im Wasser. Alex verlor ihn in der Gischt aus den Augen.
    Sie sprang hinter das Steuer des Powerboats. Dann fiel ihr ein, dass Tarver den Schlüssel mitgenommen hatte. Fluchend hämmerte sie die gefesselten Hände auf das Dollbord, ehe sie nach hinten rannte. Hoffnung erfüllte sie. Auf der Backbordseite des Carrera befand sich ein Notmotor, ein kleiner Flautenschieber. Bill hatte ihn häufig benutzt, um das Boot leise um Angelplätze herum zu manövrieren. Der elektrische Motor konnte vermittels einer speziellen Vorrichtung aus dem Wasser gehoben werden, wenn er nicht benutzt wurde. Er war mit zwei Stromkabeln mit einer Batterie im Heck verbunden. Alex starrte zurück zu der Stelle, wo Jamie im Wasser aufgeschlagen war. Der Helikopter ging tiefer. Offenbar hatten sie es auf den herausgefallenen Koffer abgesehen.
    Alex fuhr mit den Händen über das Oberteil des Flautenschiebers, bis sie den Ein-Aus-Schalter gefunden hatte. Sie hob die Klammer an, sodass der Propeller aus dem Wasser kam und knapp über das Dollbord ragte. Sie konnte das Boot zwar mit gefesselten Händen steuern, doch sie wäre hilflos, sobald sie Jamie erreicht hatte. Als sie den Schalter betätigte, surrte der Propeller augenblicklich los. Alex hielt die gefesselten Handgelenke über den verschwommenen Schatten und drückte ihre Unterarme so weit auseinander, wie es nur ging, um das Gewebeband zu spannen. All ihre Instinkte rebellierten, als sie ihre gefesselten Arme und das Band über den Propeller senkte.
    Dann ertönte ein reißendes Heulen, und roter Nebel erfüllte die Luft. Alex taumelte

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