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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Gesicht nach oben im schweren Seegang, und Tarver schwamm auf ihn zu. Er würde Jamie erreicht haben, lange bevor Alex mit dem Boot bei dem Jungen sein konnte.
    Anstatt direkt auf die beiden zuzuhalten, setzte Alex den Kreis fort, was sie aus Tarvers Gesichtsfeld führte. Ein überwältigender Instinkt verriet ihr, dass Tarver im Begriff stand, sich auf ihr Terrain zu begeben. Sechs Wochen lang war sie ihm nachgelaufen und kalten Spuren gefolgt, die im Nichts geendet hatten. Selbst nachdem sie Tarver ins Blickfeld bekommen hatte, war er immer noch jedes Mal drei Schritte weiter gewesen als sie. Diesmal aber sah es anders aus.
    Diesmal waren sie in einer Verhandlungssituation.
    Während das Boot langsam kreiste, rannte Alex zum Heck und suchte nach der Treibstoffleitung. Da! Ein transparenter Schlauch, nicht dicker als ihr kleiner Finger. Die Aorta eines menschlichen Herzens war dicker, und dies war die Hauptarterie des Bootes. Sie riss den Schlauch ab, und Benzin lief auf das Achterdeck, wo es sich verteilte. Alex kehrte zum Ruder zurück und steuerte auf Tarver zu, der Jamie inzwischen wie ein Lebensretter in einem Bergegriff hielt. Der Junge schien bewusstlos zu sein. Als Alex noch zehn Meter entfernt war, sprang sie erneut zum Heck und schaltete den elektrischen Flautenschieber aus.
    »Reden wir!«, rief Tarver. »Wir haben nicht viel Zeit.«
    Als Alex zum Bug des Bootes zurückkehrte, stieg eine Erinnerung in ihr auf: Bill Fennell am vierten Juli, wie er ein gesichertes Sitzpolster hochriss, um an Werkzeug zu gelangen. Alex hielt inne, schob die Finger unter das gleiche Kissen und zog. Es löste sich und gab den Blick frei auf eine kleine Backskiste. In der Kiste lagen ein Schraubendreher, eine Rolle Isolierband, ein Satz Schraubenschlüssel und Kupferdraht. Kein Messer, keine Signalpistole.
    »Was tun Sie da?«, rief Tarver. »Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen.«
    »Ich bin verletzt«, rief Alex zurück. »Die Wunde blutet stark. Ich suche Verbandszeug. Warten Sie.«
    Sie zog ihre durchnässte Bluse aus und wickelte sie fest um das zerfetzte Handgelenk. Dann nahm sie den Schraubendreher aus der Backskiste und versteckte ihn unter dem improvisierten Verband.
    »Ich will das Boot!«, rief Tarver.
    Alex blickte auf. Das Boot war näher zu Tarver getrieben. Sie duckte sich hinter das Dollbord. »Ich will Jamie.«
    Tarver schwamm heran und hielt dabei Jamies Kopf über Wasser. »Dann würde ich sagen, wir haben einen Deal.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben eine Pistole. Ich weiß es.«
    »Ich hab sie in dem Chaos verloren.«
    Alex schüttelte erneut den Kopf. »Keine Pistole, kein Boot.«
    Tarvers rechte Hand hielt mit Schwimmbewegungen inne, versank unter der Wasseroberfläche und erschien mit einer Automatik in den Fingern.
    »Werfen Sie die Waffe weg!«, rief Alex.
    Sie sah die Wut in Tarvers Augen, doch er warf die Pistole in die Wellen.
    »Steigen Sie aus!«, brüllte Tarver. »Ich habe den Schlüssel für das Boot. Sobald Sie von Bord sind, schwimme ich zum Spiegel und klettere hinein.«
    »Nein!«, rief Alex. »Sie schwimmen zuerst von Jamie weg!«
    »Dann ertrinkt er!«
    Alex drehte sich um und packte einen Rettungsring, eines der wenigen Dinge, die Tarver im Boot gelassen hatte. Sie warf ihm den Ring zu. »Schieben Sie ihm den Rettungsring unter die Arme, dann schwimmen Sie weg.«
    Tarver sah keine Alternative, also mühte er sich ab, Jamies reglosen Leib durch den Ring zu schieben. Während er damit beschäftigt war, sah Alex, dass das Feuermal auf seiner linken Gesichtshälfte nicht mehr so aussah, wie sie es in Erinnerung hatte, sondern von dem Schlangenbiss erschreckend angeschwollen war.
    »Fertig!«, rief Tarver schließlich.
    »Schwimmen Sie weg!«
    Er zögerte, sein Druckmittel aufzugeben; dann aber ließ er Jamie los und schwamm rasch zum Heck des Bootes.
    »Springen Sie raus!«, rief er.
    Immer noch misstrauisch, zog Alex die Schuhe aus und streifte ihre Jeans ab. Nasse Jeans konnten einen in aufgewühltem Wasser stark behindern und sogar zum Ertrinken führen. Alex sprang ins Wasser und schwamm mit kräftigen Zügen zu Jamie, als sie links von sich aus dem Augenwinkel eine Bewegung bemerkte. Tarver war nicht ins Boot gestiegen, sondern kraulte in Jamies Richtung. Alex schwamm ebenfalls los, doch Tarver war schneller. Während Alex ungläubig zusah, legte er die mächtige Hand auf den Kopf des Jungen und drückte ihn scheinbar mühelos durch den Rettungsring und tief unter

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