Leitfaden China
wie vor mit massiven Problemen von interkulturellem Verstehen, die meist auf grosse Missverständnisse und fehlendes Vertrauen zurückgehen. Obwohl es sehr schwierig ist, die Probleme nach technischen und interkulturellen Fragen zu unterscheiden, wurde der Versuch gemacht. Dabei stellt sich heraus, dass gerade in Joint Ventures interkulturelle Fragen auch heute noch rund drei Viertel aller Probleme ausmachen.
Aufschlussreich mag in dieser Hinsicht der ausgebrochene Konflikt im Joint Venture von Danone und Wahaha in China sein. Obwohl die französische Firma 51% des Besitzes übernommen hatte, traute sie sich offenbar nicht zu, selbst Einfluss auf die Geschäftsleitung zu nehmen. Sie verzichtete auf Einsitz in die operativen Abläufe. Mit grosser Wahrscheinlichkeit machte man sich dabei falsche interkulturelle Überlegungen. Ich könnte mir vorstellen, dass man von der Sicht ausging, der formalige chinesische Besitzer kenne das Geschäft ausgezeichnet, habe es ja selbst aufgebaut, und man wolle ihm deshalb nicht praktisch einen Misstrauensantrag stellen, indem man jemanden von Danone in die Geschäftsleitung abdetachierte. In meinen Augen ist Mangel an eigenem Selbstvertrauen wegen des Kulturunterschiedes eines der grössten interkulturellen Probleme überhaupt. Man getraut sich nicht zu handeln, weil man das andere Umfeld nicht kennt, oder man handelt aus vermeintlicher Kenntnis des Umfeldes falsch. Der Weg über jemanden, der sich in der Kultur auskennt, wie zum Beispiel eine chinesische Person, die lange im Ausland war oder aber eine Person aus Hong Kong oder Taiwan erweist sich leider oft ebenfalls als problematisch. Es gibt deshalb wohl keinen Ausweg, als den eigenen Weg in die andere Kultur hinein zu gehen, mit allen Fehlern, die ein Entwicklungsprozess dieser Art notwendigerweise mit sich bringt. Auch hier gilt, dass man die Grenzen dessen, was sozial akzeptiert wird, eigentlich nur über Fehler lernen kann. Dass ein solcher Entwicklungsprozess nicht erst auf der Chefetage beginnen sollte, scheint klar zu sein. Investitionen in jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein Ersteinsatz in jungen Jahren, um später eventuell das Zweigunternehmen vor Ort führen zu können, ist hier wenn immer möglich angeraten. Für die Fehler eines jungen entsandten Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin kann sich der General Manager entschuldigen. Wenn er sie selber macht, werden die Entschuldigungen wesentlich schwieriger.
3. Probleme im persönlichen Umfeld
Diesen mehr allgemeinen Fragen nach den Schwierigkeiten in China selbst und im Unternehmensalltag habe ich einen dritten Fragenkreis angehängt, der sich mit den Problemen der Führungsperson in ihrem familiären Umfeld widmet. Ausländischen Führungskräfte sehen in diesem Bereich vor allem die folgenden drei Problemkreise.
Fehlen von Erholung
Das Fehlen von richtigen Erholungsmöglichkeiten im persönlichen und familiären Bereich scheint mit Abstand das grösstes Problem zu sein, oft auch im Zusammenhang mit dem Fehlen von Privatsphäre überhaupt. Die soziale Dichte des chinesischen Raumes führt gerade Westeuropäer dazu, auch die entsprechende psychische Enge zu spüren, auch wenn sie normalerweise in einem Ausländercompound leben und einen westlichen Lebensstil weiterpflegen. Verschiedentlich kam auch die Bemerkung des mangelnden Kontaktes zum chinesischen Umfeld auf, dem man sich gerne genähert hätte, das aber auf Grund verschiedener Schwierigkeiten wie der chinesischen Gesellschaft und ihrer Kultur, der Sprache, oder der Wohnlage weitgehend unzugänglich bleibt.
Selbst für Personen, die Golf spielen und regelmässig etwas ins Grüne kommen, ist dieser Ersatz kaum mit europäischen Freizeitmöglichkeiten gleichzusetzen. Ein Fitnessclub andererseits erlaubt den Kontakt zu einer umgebenden Natur noch weniger. Jedenfalls bietet er keinen gleichwertigen Ersatz für die Wohn- und Lebensverhältnisse, an welche die entsandte Person zu Hause gewohnt ist.
Chinesische Führungskräfte scheint dieses Problem weniger zu beschäftigen. Ein Grund mag im weniger ausgeprägten Arbeits- und Lebensgleichgewicht bestehen. Sie sind aber auch in ihrer Gesellschaft sozialisiert worden und kennen die Dichten und Engen ihrer sozialen Umgebung sehr wohl. Die neue Mittelschicht hat ihrerseits gewisse Möglichkeiten, mit den höheren Einkommen einen grösseren privaten Raum aufzubauen. Wohnungen von 120 m 2 sind heute auch für China keine Seltenheit mehr – allerdings muss
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