Leitfaden China
werden. «Ich kann mich nie frei ausdrücken, ich kann meine Probleme mit niemandem besprechen, weder mit Familie noch Freunden, geschweige denn mit meinen Untergebenen». Auf Grund der starken Hierarchien werden gerade dem chinesischen Chef viele Dinge gar nicht gemeldet. Er muss sich deshalb um eine entsprechende Informationsbasis bemühen. Und gleichzeitig hat er wegen des Erfolgsdrucks auch kaum Zeit für seine Familie. «Es ist hart, die Kälte an der Spitze zu ertragen», gestand mir ein chinesischer Unternehmer.
Die Situation ist durchaus auch in einem westlichen Umfeld bekannt. Trotzdem schafft die soziale Dichte und psychische Enge eine viel grössere Abhängigkeit – oder Verantwortung – für eine Führungsperson in China, sei es nun eine chinesische oder ausländische Person. Die mangelnde Unterscheidung von beruflich und privat und die empfundene soziale Verantwortung schaffen besondere Schwierigkeiten für eine entsandte Person an der Spitze eines Unternehmens in China.
4. Zusammenfassung der Ergebnisse
Das chinesische Umfeld wird von Ausländern als relativ schwierig angesehen, vor allem weil es eine starke Dynamik in allen Lebensbereichen aufweist. Dies ist der Hintergrund zur Einschätzung der Rechtslage, aber es ist auch der Hintergrund zu den Wettbewerbsverhältnissen oder auch zu vielen Fragen des Personalmanagements. Diese Einschätzungen bilden für viele Führungskräfte Herausforderungen des Umfeldes, ohne dass sie den Gedankenschritt machen, die Probleme in ihrer grundlegenden Natur auch als interkulturell zu sehen. Für viele bleiben es Fragen rein technischer Art.
Das interkulturelle Verständnis und die interkulturelle Kompetenz stehen somit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht im Vordergrund der Einschätzungen und der Bemühungen zur Problemlösung. Dies hat zwei Ursachen. Erstens ist es vielen Personen gar nicht bewusst, dass ein Problem kulturelle Hintergründe haben könnte. Dazu fehlt meist die theoretische Auseinandersetzung mit interkulturellen Fragen. Nur Personen, die sich zu den Hintergründen ihrer Arbeit auch Fragen stellen, sehen in der Regel die kulturellen Komponenten hinter den Problemstellungen. Ohne zu übertreiben kann man meiner Meinung nach behaupten, rund zwei Dritteln bis drei Viertel aller Problemfälle weisen einen interkulturellen Hintergrund auf.
Hier scheint der zweite Grund auf, warum interkulturelle Probleme oft nicht als solche erkannt werden. Es gibt in vielen Fällen ganz rationale, auf der Hand liegende Erklärungen für ein Problem. Das heisst mit anderen Worten, die interkulturelle Problematik liegt auf einer Metaebene und wird am konkreten Praxisproblem als solchem oft nicht erkannt. Ausgezeichnet lässt sich dies am Fall der rechtlichen Grundlagen zeigen, die von drei Vierteln der Führungskräfte in China als Hauptproblem ihres Handelns geschildert wurden. Von westlichen Führungskräften wurde die unklare Rechtslage als Phänomen des Entwicklungsniveaus gesehen, das sich dann bei entsprechenden Fortschritten der chinesischen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft schon ergeben werde. Gerade dem WTO-Beitritt Chinas wird hier ein hoher Stellenwert als ein weiterer Meilenstein zu einer befriedigenden Rechtslage eingeräumt. Die mangelnde theoretische Einsicht führt hier zu einer strategischen Fehleinschätzung. Der WTO-Beitritt wird zweifellos eine Verbesserung der Rechtslage bringen, am grundlegend anderen Rechtsverständnis Chinas dürfte sich deswegen allerdings weniger ändern, als im allgemeinen angenommen wird.
Der Einfluss der Kultur auf das Unternehmen besteht hingegen nicht nur für ausländische Firmen, er gilt in gleichem Mass für jeden chinesischen Unternehmer. Die Tatsache, dass sie in ihrem eigenen kulturellen Umfeld handeln, verdeckt vielleicht die eine oder andere Schwierigkeit oder lässt sie zumindest nicht im selben Mass wirksam werden. Mit der unklaren Rechtslage hingegen muss sich auch ein chinesisches Unternehmen abgeben.
Interessanterweise wird der interkulturellen Problematik von ausländischer Unternehmensseite langsam mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Viele Personen, und meist auch ihre Ehepartner, hatten vor ihrer Entsendung nach China einen Einführungskurs für den Chinaaufenthalt besucht. Diese Einführungen umfassten in der Regel interkulturelle und sprachliche Elemente und stimmen mit den Ergebnissen von Umfragen in der Fachliteratur überein. Andere Führungskräfte wurden spezifisch auf Grund ihrer
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