Lelord, Francois
Blattwerk von Pflanzen, deren Namen er nicht kannte, einmal
abgesehen von den zerschlitzten Wedeln der Bananenstauden. Die Lady musste doch
inzwischen mitbekommen haben, dass sie sich verirrt hatte? Gerade hatte Hector
beschlossen, nach ihr zu rufen, als er sie erblickte. Sie stand wie angewurzelt
vor einem großen Blättervorhang. Als er weiter auf sie zuging, hörte er ein
dumpfes Knacken. Die Bäume vor ihr rauschten, und die Blätter wogten hin und
her. Hinter den Stämmen glitt ein massiger Schatten vorbei.
Ein
Elefant. Ein wilder Elefant. Hector erstarrte. Die Lady drehte sich zu ihm um,
und er sah die Panik in ihrem Blick, eine Panik, die viel größer als alles war,
was er von ihr kannte. Er gab ihr mit einem Zeichen zu verstehen, dass sie sich
nicht rühren solle. Der Elefant war im Halbschatten kaum zu erkennen; er war
nur ein riesiger Umriss, der ein wenig dunkler war als der Rest und der sich
bewegte. Die Lady zitterte am ganzen Leib und begann zu wimmern. Gleich würde
sie losrennen oder anfangen zu schreien. Hector näherte sich ihr ganz langsam
und versuchte alle abrupten Bewegungen zu vermeiden. Er musste an Clara und
Petit Hector denken und er versuchte, alles auszublenden, was er über
Begegnungen mit wilden Elefanten gehört hatte. Sie waren neugierig. Sie waren
furchtsam. Sie konnten in Zorn geraten. Sie konnten dich mir nichts, dir nichts
zertrampeln. Männchen in der Brunftzeit und Weibchen mit Jungen waren am
gefährlichsten.
Endlich
war er neben der Lady angelangt. Als sie ihm in die Arme sank, sah er, dass der
Elefant stehen geblieben war. Durch eine Lücke im Blattwerk konnte er das Auge
erkennen, ein kleines glänzendes Juwel inmitten schwarzer runzliger Haut, und
dieses Auge beobachtete sie.
Hector nahm
die Lady bei der Schulter, kehrte dem Elefanten den Rücken und begann, sich
langsam mit ihr zu entfernen. Hinter ihnen knackten wieder Zweige. Er war
darauf gefasst, dass die Erde jeden Moment unter seinen Füßen erzittern würde,
weil das Tier mit voller Wucht auf sie losgestürmt kam. Die Lady umklammerte
ihn weinend, und ihre abgehackten Schluchzer klangen wie die eines Kindes, das
sich sehr wehgetan hat. Jeder Meter schien unendlich weit zu sein, jede Sekunde
von unglaublicher Länge. Noch etwas, das die therapeutische Bindung zwischen
Arzt und Patient gründlich verfälschen wird, dachte Hector, während die Lady
ihn partout nicht loslassen wollte und er ihre Tränen auf seiner Wange spürte.
Er fand
auf den Weg zurück, und ein paar Augenblicke später stand bereits Maria-Lucia
vor ihnen, die noch ganz außer Atem, über ihrer beider Anblick aber sichtlich
erfreut war.
»Ein
Elefant«, flüsterte Hector, als könne das Tier sie immer noch hören.
Maria-Lucia
benötigte keine weiteren Erklärungen. Schweigend gingen sie ins Dorf zurück.
Am Abend
hatte Hector die große Freude, Claras und Petit Hectors Stimme zu hören, und
zwar über das Satellitentelefon der Filmproduzenten, denn das von Pater Jean
wollte er nicht schon wieder benutzen.
»Alles ist
bestens, mach dir keine Sorgen«, hatte er zu Clara gesagt.
»Ich mache
mir doch gar keine Sorgen. Ich weiß ja, dass du mit Freunden unterwegs bist.«
Zum Glück
wusste Clara nicht, was aus Brice geworden war, und die Frage, ob er weiterhin
sein Freund war, beschäftigte Hector noch immer ein bisschen.
»Papa,
bist du im Dschungel?«, wollte Petit Hector wissen.
»Ja,
mittendrin.«
»Gibt es dort Tiger? Oder
Elefanten?«
»Tiger weiß ich nicht, aber
Elefanten habe ich schon gesehen. Sogar wilde Elefanten.«
»Wow, wilde Elefanten! Kann man
die zähmen?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Zähmst du vielleicht einen?«
»Dein
Vater kann Menschen zähmen, aber keine Elefanten«, sagte Clara.
Wenn das nur
wahr wäre, dachte Hector beim Gedanken an die Lady. Plötzlich fiel ihm ein,
dass er Clara unbedingt eine Frage stellen wollte.
»Ich merke
gerade, dass ich etwas über die Freundschaft unter Männern sagen kann und über
die Freundschaft zwischen Mann und Frau. Aber wie steht es mit Freundschaften
unter Frauen? Glaubst du, dass sie sich von Männerfreundschaften
unterscheiden?«
»Das ist
eine gute Frage ...«, meinte Clara.
»Wir Jungs
unternehmen gern was zusammen«, sagte Petit Hector, der alles mitgehört hatte,
»aber die Mädchen hocken immer nur rum und quatschen die ganze Zeit.«
Hector und
Clara mussten laut loslachen.
»Warum
macht ihr euch über mich lustig?«, fragte Petit Hector, und es gefiel ihm
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